Winterdepression: Anzeichen, Ursachen und was hilft

Eine Winterdepression, auch saisonal abhängige Depression (SAD) genannt, entsteht durch den ausgeprägten Lichtmangel im Herbst und Winter. Unser Experte Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt, was genau eine SAD ist und was dagegen hilft.

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Winterdepression: Stimmungstief durch Lichtmangel

"Jeder dritte Deutsche leidet unter der Winterdepression. Ursache sind primär die wenigen Sonnenstunden, sprich der ausgeprägte Lichtmangel", erklärt Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Interview. Tatsächlich: Der Übergang von Sommer zu Herbst fällt vielen Menschen schwer. Wo man im Juni, Juli und August noch draußen im Warmen sitzt und die Sonne genießt, werden im September die Tage kürzer, bevor im Oktober meist der große Regen einsetzt. Das verändert nicht nur unser soziales Leben, sondern eben auch die Stimmung: Das schlechte Wetter drückt die Laune.

Die Winterdepression trägt ihren Namen also zu Recht. Da sie zum Großteil auf Herbst und Winter beschränkt ist und im Frühling abklingt, sprechen Experten von einer saisonal abhängigen Depression – im Englischen Seasonal Affective Disorder –, kurz SAD. Experten schätzen, dass jede zehnte Depression, die im Winter diagnostiziert wird, eine Winterdepression ist. Außerdem wird die Winterdepression zu den rezidivierenden depressiven Störungen gezählt, also zu den in Abständen wiederkehrenden Krankheitsbildern. Sie kann theoretisch auch im Sommer oder Frühling auftreten, das kommt jedoch äußerst selten vor.

Podcast Gesunder Geist

Einer von vier Menschen entwickelt im Laufe seines Lebens eine Depression. Warum manche Menschen ein höheres Erkrankungsrisiko haben, wie sich eine Depression bemerkbar macht und wie unter anderem Online-Trainings von hellobetter.de dabei helfen, aus dem Stimmungstief zu kommen – darüber reden wir mit Neurowissenschaftlerin und Psychotherapeutin Dr. Alena Rentsch in einer neuen Folge Gesunder Geist!

Umgangssprachlich wird die Winterdepression auch als Winterblues bezeichnet. Experten allerdings sehen einen Unterschied zwischen den Krankheitsbildern. Der Winterblues ist zwar auch eine Form der depressiven Verstimmung, wirkt sich jedoch weniger intensiv auf die Betroffenen aus. Deswegen gilt der Winterblues als subsyndromale SAD (s-SAD): Es treten zwar Symptome einer Winterdepression auf, allerdings in deutlich abgeschwächter Form.

Saisonale Depression: Das passiert im Körper

Ausgehend von dem ausgeprägten Lichtmangel werden im Körper zwei Prozesse in Gang gesetzt, die eine saisonale Depression triggern: "Der Körper produziert zum einen vermehrt das stimmungssenkende Schlafhormon Melatonin und zeitgleich weitaus weniger des Wohlfühlhormons Serotonin", so Dr. Hagemann. 
Ein Überschuss an Melatonin führt zu überhöhter Müdigkeit in Kombination mit weniger Energie und Antrieb. Das Vertrackte: Um Melatonin zu produzieren, nutzt der Körper den Neurotransmitter Seratonin. So haben wir während der dunklen Jahreszeit nicht nur mehr Schlafhormone im Körper, sondern auch weniger Glückshormone.

Ursachen einer saisonalen Depression

Natürlich ist nicht allein der Lichtmangel Schuld an einer Winterdepression – sonst würde in Deutschland jeder Mensch daran erkranken. Wie bei nicht-saisonalen Depressionen und depressiven Verstimmungen spielen bei einer SAD verschiedene Faktoren eine Rolle. Dazu gehören:

  • genetische Veranlagungen
  • hormonelle Dysbalancen
  • Stress
  • schwierige Lebensumstände 
  • fehlende soziale Kontakte
  • Medikamente
  • andere (psychische und/oder physische) Krankheiten

In der aktuellen Corona-Krise ist die Gefahr, eine Winterdepression zu entwickeln, sogar noch größer: Wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr in Räumen müssen soziale Kontakte überwiegend im Freien stattfinden. Kein Problem im Sommer, im Herbst allerdings schon. In der Folge bleiben viele an kalten Tagen zuhause, wo statt Sonnenlicht dann der Fernseher leuchtet.

Symptome einer Winterdepression

"Die Winterdepression äußert sich ähnlich wie die klassische Schwermut", erklärt Dr. Hagemann im Interview. Zum Großteil gleichen die Symptome einer Winterdepression also denen anderer Depressionserkrankungen: 

  • Antriebslosigkeit 
  • Energielosigkeit
  • Interessenverlust
  • Niedergeschlagenheit 
  • Ängste 
  • Gereiztheit
  • Vernachlässigung sozialer Kontakte

Winterdepression vs. Depression: Unterscheidungsmerkmale

Neben den genannten Symptomen weist die Winterdepression allerdings auch atypische Depressionssymptome auf. "Für Depressionen ungewöhnlich sind das ausgeprägte Schlafbedürfnis und ein verstärkter Appetit – vor allem auf süße und kohlenhydratreiche Kost", hebt Dr. Hagemann die Unterschiede hervor. Klassische depressive Verstimmungen und Depressionen sind eher von Appetitverlust sowie Ein- und Durchschlafstörungen gezeichnet.

Was hilft gegen eine SAD?

Die folgenden Maßnahmen können helfen, Symptome einer WInterdepression zu lindern:

1. Lichttherapie: 10.000 Lux gegen saisonale Depressionen

"Die Lichttherapie ist eine unter Experten anerkannte Methode zur Linderung von depressiven Erkrankungen, die einem saisonalem Muster folgen", verdeutlicht Dr. Hagemann. "Durch spezielle Lampen mit mehr als 2.500, am besten 10.000 Lux Stärke, wird über das Auge die Ausschüttung von Botenstoffen angeregt und somit insbesondere in der tristen Jahreszeit ein Pendant zum fehlenden Sonnenlicht bewirkt." Der Kreislauf von mehr Melatonin und weniger Serotonin wird damit durchbrochen. 

Doch wie genau wird eine Lichttherapie durchgeführt? "Die Lampe sollte morgens direkt nach dem Aufwachen maximal 50 - 80 cm von den Augen platziert werden und ca. eine halbe Stunde auf die geöffneten Augen leuchten", erklärt der Experte. "Bei niedrigeren Lichtstärken ist die Dauer entsprechend höher zu wählen (z.B.: 2.500 Lux = 2 h). Bis zu 90 % der Menschen mit SAD sprechen auf diese nebenwirkungsarme Therapie an. Bei nicht saisonalen Depressionen ist der bisher nachgewiesene Effekt jedoch eher bescheiden." 

Frau sitzt vor einer Lampe zur Lichttherapie
Lichttherapie kann die Symptome einer Winterdepression lindern Foto: iStock / Rocky89

2. Vitamin-D: So viel Licht tanken wie möglich

Dr. Hagemann rät, vor allem in der kalten Jahreszeit viel und regelmäßig aus dem Haus zu gehen. "Sicher ist, dass Sonnenlicht bei bestimmten Depressionsformen wesentlichen Einfluss haben kann. Denn: Zu 90 % wird stimmungsförderndes Vitamin D durch UV-Strahlung, also durch Sonnenlicht, in der Haut gebildet – und damit steht es vor allem in der lichtarmen Jahreszeit in unseren Breitengraden bekanntlich nicht zum Besten. Um einem Mangel vorzubeugen, gilt es deshalb gerade jetzt, möglichst viel Zeit draußen zu verbringen und Sonne zu tanken. Empfehlenswert sind zudem Vitamin-D-haltige Lebensmittel, etwa Käsesorten wie Gouda oder Fische wie Aal und Hering."

3. Bewegung und Sport wirken antidepressiv

Klar, wer grundsätzlich nicht gerne Sport macht, der wird vor allem im Herbst und Winter nicht damit anfangen. Doch gegen eine Winterdepression hilft nicht nur Sport, sondern schon moderate Bewegung – im Freien, versteht sich. "Regelrecht antidepressiv wirken können Spaziergänge durch den Winterwald. Neben dem zusätzlichen Licht wirkt auch die Bewegung aktivierend", betont Dr. Hagemann. "Schon eine kurze Wanderung fördert die Durchblutung bestimmter Gehirnregionen um bis zu einem Drittel, haben Experten errechnet. Das Ergebnis lässt nicht lange auf sich warten: Es kommt zu einer erheblichen Steigerung von Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung. Zudem führt die bessere Durchblutung zu einer höheren Ausschüttung von Endorphinen, was unserem Glücksempfinden zu Gute kommt."

Sportarten wie Fahrradfahren oder Schwimmen hingegen "fördern die Produktion des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn – und somit das Gefühl für Glück und Freude."

4. Antidepressiva bei schweren SAD-Formen

Ist die Winterdepression besonders schwer oder tritt regelmäßig auf, können Patienten medikamentös behandelt werden. Dabei kommen vor allem selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) zum Einsatz. Diese Antidepressiva blockieren den Serotoninabbau, wodurch sich die Konzentration des Glückshormons im Körper erhöht.

5. Psychotherapie als Hilfe bei Winterdepression

Auch eine klassische Psychotherapie hat sich als wirkungsvoll gegen Winterdepressionen und deren Symptome erwiesen. Üblicherweise setzt das Fachpersonal dabei auf eine kognitive Verhaltenstherapie. 

Kann man einer Winterdepression vorbeugen?

Zu 100 % vorbeugen lässt sich einer Winterdepression nicht. Dennoch kann jeder im Alltag darauf achten, bestimmte Risikofaktoren zu minimieren – beispielsweise Stress ganz generell. "Ob im Job oder in der Freizeit, wichtig sind kleine Auszeiten zwischendurch", bestätigt der Experte. "Mein Tipp: Hin und wieder in Ruhe einen Tee trinken oder das Fenster öffnen und Sauerstoff in die Räume lassen. Ausreichender Schlaf, der maximal mäßige Genuss von Alkohol, Nikotin und Kaffee sowie die Verminderung wiederkehrender Überforderungssituationen sind weitere wirkungsvolle Faktoren im Kampf gegen eine drohende Herbst- oder Winterdepression."

Neben kleiner Auszeiten und grundsätzlicher Entspannung ist es wichtig, gezielt auf gesunde Lichtverhältnisse zu achten. "Damit Sie im Büro oder Wohnzimmer nicht in Trübsinn verfallen, sollten auch hier gute Licht- und Stimmungsverhältnisse gegeben sein. Also möglichst viel Tageslicht hereinlassen und für eine angenehme, freundliche Atmosphäre sorgen", betont Dr. Hagemann. Ideen fürs Büro/Home Office/Wohnzimmer: 

  • Schreibtisch/Couch näher ans Fenster stellen
  • Räume mit zusätzlichen Stehlampen erhellen
  • Pflanzen für eine gemütliche Atmosphäre 

Wichtig ist allerdings: Unterschätzen Sie eine mögliche Winterdepression nicht und gehen Sie zum Arzt, sobald Sie den Verdacht haben, an einer SAD zu leiden. 

Unser Experte

Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen. Diese Privatklinik für Psychosomatik ist spezialisiert auf Angst- und Panikstörungen, chronische Schmerzen, Burnout und Depressionen.

Depression: Wo finde ich Hilfe?

Wenn Sie sich ständig erschöpft und traurig fühlen oder unter Schlafproblemen leiden, kann dies auf eine Depression hindeuten. Spätestens nach zwei Wochen Niedergeschlagenheit ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen. Auf der Website der Deutschen Depressionshilfe finden Sie verschiedene Anlaufstellen. Dort sind auch Adressen für Notfälle gelistet. Bei konkreten Suizidgedanken ist es wichtig, die nächstgelegene Klinik mit psychiatrischer Notaufnahme aufzusuchen.

Bei akuten Sorgen oder Ängsten können Sie jederzeit anonym die Telefonseelsorge unter den Telefonnummern 0800/111 0 111 oder 116 123 anrufen.

Wenn Sie nicht selbst betroffen sind, aber depressive Symptome bei anderen bemerken, erhalten Sie auf der Website der Deutschen Depressionshilfe konkrete Handlungsempfehlungen. Besteht eine konkrete Suizidgefahr ist es wichtig, sofort den Rettungsdienst unter 112 oder die Polizei zu verständigen.