Was ist "sekundäres Altern"?

Es gibt zwei verschiedene Formen des Alterns – das primäre und das sekundäre. Deutschen Forschern ist es jetzt gelungen, die molekularen Unterschiede der beiden Alterungsprozesse aufzuzeigen.
Wissenschaftler unterscheiden zwischen zwei Formen des Alterns: dem primären und dem sekundären. Das „physiologische“ oder „primäre“ Altern wird durch zelluläre Alterungsprozesse hervorgerufen, die bei allen Menschen gleichermaßen ablaufen. Es handelt sich um einen zellulären Prozess, der eine Lebensspanne von maximal rund 120 Jahren ermöglicht. Dieser Vorgang ist bisher nicht zu beeinflussen – das „sekundäre“ Altern hingegen schon. Dabei handelt es sich um die Vorgänge im Körper, die das Leben durch Krankheiten oder eine ungesunde Lebensweise verkürzen.
Ein Forscherteam unter anderem aus dem Leibniz-Institut für Alternsforschung (Fritz-Lipmann-Institut – FLI) entschlüsselte kürzlich den Unterschied zwischen den beiden Alterungsprozessen auf molekularer Ebene. Dazu analysierten sie Daten von 1.227 gesunden und 10.333 kranken Personen. Letztere litten an Diabetes mellitus, Nieren- und Herzerkrankungen.
Die Daten wurden per Urinprobe gewonnen, die Mediziner mittels einer neuen Untersuchungsmethode, der sogenannten Proteomanalyse, auswerteten. Diese erkennt Veränderungen im Körper, also auch Alterungsprozesse, durch die Analyse spezifischer Muster von Eiweißen beziehungsweise ihrer Bruchstücke (Peptide).
Die Wissenschaftler identifizierten 112 Peptide, die sowohl beim primären als auch beim sekundären Altern eine Rolle spielen. Zusätzlich stellten sie 27 Peptide heraus, die dem primären Altern zugeordnet werden konnten – 85 Peptide standen im Zusammenhang mit dem sekundären Altern.
Unterschiedliche Wirkung der Peptide
Die beiden Peptidgruppen unterscheiden sich in wesentlichen Merkmalen: Jene, die mit dem primären Altern in Verbindung stehen, spielen eine wichtige Rolle beim Kollagenabbau sowie bei der Alterung des Immunsystems. Das Protein Kollagen ist ein Bestandteil der Haut und des Bindegewebes (Zähne, Knochen, Knorpel, Bänder und Sehnen). Der Abbau von Kollagen im Alter führt beispielsweise dazu, dass die Haut weniger straff wird und es zur Faltenbildung kommt. Das Immunsystem arbeitet mit dem Alter immer weniger effizient. Der Grund: die Immunzellen teilen sich bei jedem „Einsatz“ – und bei jeder dieser Teilungen verkürzt sich ihre Lebensspanne. Nach heutigem Stand der Forschung ist es nicht möglich, diese Prozesse aufzuhalten.
Die am sekundären Altern beteiligten Peptide werden dagegen mit der Reaktion unseres Körpers auf Nährstoffe assoziiert. Das bedeutet: Anders als das primäre Altern kann das sekundäre Altern beeinflusst werden.
„Wenn wir ein klares Verständnis der molekularen Mechanismen des menschlichen Alterns entwickeln, eröffnen sich neue Wege des effektiven Managements altersbedingter Erkrankungen und damit eine Verbesserung der Gesundheit im Alter“, sagt Professor Dr. K. Lenhard Rudolph, Wissenschaftlicher Direktor des FLI.
Den Forschern gelang es zudem, anhand von Proteomanalyse das Risiko einzelner Patienten für einen Herzinfarkt und Krankheiten wie Herzmuskelschwäche und Nierenfunktionsstörung bei Diabetes (Diabetische Nephropathie) zu erkennen. Das sind Krankheiten, die besonders häufig das sekundäre Altern bedingen.
„Krankheiten entstehen auf molekularer Ebene und können zu diesem sehr frühen Zeitpunkt präzise mit der Proteomanalyse entdeckt werden. (...) Die bisher gängigen Methoden zur Erkennung dieser Erkrankungen sind ‚zu spät dran’. Sie diagnostizieren eine Krankheit erst, wenn zum Beispiel schon eine massive Einschränkung der Nierenfunktion erfolgt und somit ein unumkehrbarer Schaden am Organ eingetreten ist“, erklärt Professor Dr. Dr. Harald Mischak, weltweit führender Proteomforscher.
Laut Ansicht der Wissenschaftler schaffen ihre Erkenntnisse einen Ansatzpunkt für die pharmazeutische Industrie, Medikamente zu entwickeln, die auf das sekundäre Altern einwirken.