Trotzphase: Was ist mit meinem Kind los?
Die Trotzphase kann für Kinder und Eltern zur Belastungsprobe werden. Was geht in den kleinen Wutmonstern vor? Wie können Eltern sie in dieser Entwicklungsphase am besten unterstützen? Und ist der Begriff Trotzphase überhaupt angemessen?

Die Trotzphase kann den Alltag mit dem tobenden und wütenden Kleinkind zum Spießrutenlauf machen. Die meisten Eltern von Kindern im Alter zwischen 18 Monaten und etwa fünf Jahren kennen solche Situationen: Das Kind steht mit nackten Beinen im Flur, die Hose, die es sich gerade ausgezogen und weit von sich geschmissen hat, liegt in der Ecke. Die Zeit drängt, die Mutter muss zur Arbeit – das Kind brüllt wie von Sinnen und lässt sich weder ablenken noch beruhigen und schon gar nicht anziehen. Für Eltern ist die Trotzphase häufig anstrengend, kräftezehrend und nervig.
„Trotzphase“: ein veralteter Begriff?
Der Begriff Trotzphase hat sich über Jahrzehnte in unserem Sprachgebrauch verfestigt. Heute bemängeln einige Psychologen die negative Konnotation dieses Begriffs. Denn die Trotzphase ist nichts weiter als eine Phase in der Entwicklung des Kindes. Das Kind entfaltet seine Persönlichkeit, wird selbstständig, übt (zumeist lautstark und vehement) seine eigene Position zu vertreten. Es ist nicht „trotzig“ oder bösartig – es will selbstständig werden und das sollten wir begrüßen.
Der dänische Familientherapeut und Autor Jesper Juul bezeichnete den Begriff Trotzalter als „typisch für Machthaber, die sich über renitente Untertanen ärgern“.1 Tatsächlich stammt der Begriff aus Zeiten, in denen das Auflehnen und lautstarke Protestieren von Kindern unerwünscht war. Heute sehen das die meisten zum Glück anders. Dennoch fragen sich viele Eltern, wie sie mit ihrem chronisch wütenden Nachwuchs umgehen sollen und ob sie vielleicht etwas in der Erziehung falsch gemacht haben.
Die Trotzphase aus evolutionsbiologischer Sicht
Viele psychologische Theorien zur Trotzphase basieren auf der Annahme, dass den Kindern noch eine essenzielle Fähigkeit oder Kompetenz fehlt, um mit ihren Emotionen umzugehen. Sie gehen gewissermaßen von einem Defizit in der kindlichen Persönlichkeit aus, das häufige Wutanfälle zur Folge hat.
Die Evolutionsbiologie sieht das anders: Aus ihrer Sicht sind Kinder in jedem Alter genau mit den Kompetenzen ausgestattet, die sie für ihre weitere Entwicklung benötigen – so auch in der Trotzphase. Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass ein aufwendiges Verhalten wie das „Trotzen“ einen Überlebensvorteil bringen muss, andernfalls würde es kein Kind an den Tag legen. Dass die Trotzphase für das Überleben und die gesunde Entwicklung des Kindes aus evolutionsbiologischer Sicht Sinn macht, zeigt schon, dass Menschen nicht die einzige Spezies sind, deren Nachwuchs eine Trotzphase hat: Auch kleine Schimpansenkinder werden regelmäßig von Wutausbrüchen übermannt und unterscheiden sich dabei kaum von ihren menschlichen Altersgenossen.
Ein Blick in die Steinzeit veranschaulicht, warum die Wutanfälle wohlmöglich als überlebenswichtiges Verhalten in kleinen Kindern „einprogrammiert“ sind: In der Steinzeit wurden Kinder zwei bis vier Jahre lang gestillt – dann wurden sie abgestillt und das nächste Geschwisterchen kam zum Zug. Diese Zeit war damals noch mit Gefahren für das kleine Kind verbunden: Erstens versiegte jetzt eine bis dahin verlässliche Nahrungsquelle. Zweitens bekam das Geschwisterchen jetzt das volle Programm an Zuwendung, Schutz und Rundum-Betreuung, das bis dahin sein Privileg gewesen war. Die Trotzanfälle könnten eine Strategie gewesen sein, wenigstens noch ein wenig mehr von dem „Kuchen“ abzubekommen. Wer lautstark um seinen Willen (in diesem Fall Zuwendung und Nahrung) kämpft, bekommt am Ende mehr, als wenn er alle Privilegien stillschweigend abgegeben hätte.2
Ob darin wirklich der tiefere Sinn der Trotzphase liegt, lässt sich schwer nachweisen. Wie die genaue Erklärung für das auffällige Verhalten auch lauten mag – es gehört zur gesunden Entwicklung des Kindes dazu. Eltern können die Trotzphase nicht verhindern und sie ist ganz bestimmt kein Anzeichen einer „falschen“ Erziehung.
Trotzphase: nachgeben oder nicht?
Nachgeben oder nicht? Diese Frage schien für Eltern, Pädagogen und Psychologen lange Zeit alles entscheidend zu sein, wenn es um den Umgang mit Kindern in der Trotzphase geht. Die einhellige Meinung lautete meist: Niemals nachgeben, sonst wird das Kind für seinen Trotzanfall „belohnt“ und wird ihn wieder und wieder als Mittel anwenden. Heute gehen viele Experten nicht mehr davon aus, dass Kinder jeden einzelnen Kampf mit ihren Eltern verlieren müssen, um sich zu einigermaßen sozialen Lebewesen zu entwickeln.Eltern sollten vielmehr überlegen, wo ihre eigenen Grenzen liegen – ob sie wirklich nicht möchten, dass ihr Kind dieses oder jenes tut oder bekommt und sich dabei möglichst wenig von Konventionen leiten lassen. Wichtiger, als die Frage, ob sie im Einzelfall nachgeben oder nicht, ist, dass Eltern authentisch auf die Ausbrüche ihres Kindes reagieren. Wollen Sie wirklich nicht, dass Ihr Kind auf den Tisch klettert, dann bleiben Sie bei Ihrem Nein. Haben Sie das Verbot aber ausgesprochen, ohne wirklich darüber nachzudenken, in Wirklichkeit würde es Sie aber gar nicht stören, wenn das Kind auf den Tisch klettert, dann geben Sie ruhig nach.
Tipps für den Umgang mit dem wütenden Kind
- Nicht persönlich nehmen: Sehen Sie den Wutausbruch nicht als Angriff gegen Sie – denn das ist er nicht. Das Kind hat in dieser Situation mit sich selbst und seinen überbrodelnden Emotionen zu tun, auch wenn eine Handlung oder ein Verbot von Ihnen vielleicht der Auslöser für den Ausraster war.
- Keine Vorwürfe: Machen Sie Ihrem Kind seinen Ausbruch nicht zum Vorwurf. Es ist gerade wütend, traurig, verzweifelt – und Sie sollten ihm immer zugestehen, seine Gefühle auszudrücken. Es setzt das Schreien und Toben nicht als Waffe ein, um Ihnen zu schaden – es wird von dem Ausbruch vielmehr übermannt und kann gerade gar nicht anders, als seinen Unmut lautstark zum Ausdruck zu bringen. Ein Vorwurf wie „Immer rastet du gleich aus“ wird Sie und Ihr Kind jetzt genauso wenig weiterbringen wie die Aufforderung, sich zu beruhigen. Keins von beiden führt dazu, dass der Wutanfall schneller vorbeigeht – dafür hat das Kind zusätzlich das Gefühl, dass seine Gefühle unerwünscht oder falsch sind. Noch schlimmer sind Bestrafungen: Diese intensivieren in dem Kind noch das Gefühl, als Person „nicht richtig“ zu sein.
- Ernst nehmen: Das Kind wälzt sich brüllend auf dem Boden, weil auf dem Wickeltisch heute eine rote statt der üblichen blauen Unterlage liegt: In seiner Absurdität kann so ein Ausraster schon wieder lustig sein. Trotzdem gilt jetzt: auf keinen Fall auslachen! Sich über den Wutanfall lustig zu machen ist genauso falsch wie ihn zu „verbieten“. Wenn Eltern Verständnis für den Gefühlsausbruch zeigen, wird das Kind viel eher gewillt sein, sich wieder zu beruhigen. Finden Sie in dem ganzen Gebrüll kurz das Gehör Ihres Kindes, sagen Sie ihm ruhig, dass Sie gut verstehen können, dass es jetzt wütend ist.
- Nicht gegen den Willen des Kindes trösten: Ist das Kind ganz außer sich vor Wut und Verzweiflung, kann das Elternherz schon mal bluten. Aber die wenigsten Kinder wollen jetzt in den Arm genommen und getröstet werden – entsprechende Versuche werden in der Regel auch unmissverständlich abgeschmettert. Lassen Sie Ihr Kind in Ruhe brüllen und toben – möchte es getröstet werden, wird es zu Ihnen kommen.
- Normalität einkehren lassen: Versuchen Sie während des Wutanfalls so gelassen wie möglich zu bleiben. Gelingt das mal nicht, ist das auch nicht so wild – die Hauptsache ist, dass auch Sie wieder auf „normal“ umschalten, wenn Ihr Kind sich wieder beruhigt hat. Hat sich der Sturm gelegt, wollen manche Kinder durchaus getröstet werden. Sie laufen dann weinend auf Mama oder Papa zu – in diesem Fall sollten diese sie selbstverständlich mit offenen Armen empfangen. Denn elterlicher Rückhalt und Zuneigung sind in der Trotzphase genauso wichtig für das Kind wie in allen anderen Entwicklungsphasen auch.
Quellen:
1Juul, Jesper (2019): Dein kompetentes Kind, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag. S. 25.
2Renz-Polster, Herbert (2014): Kinder verstehen, München: Kösel-Verlag. S. 177-191.