„Pick me“-Girl: Warum es toxisch ist, besonders sein zu wollen
Niemand möchte ein „Pick me“-Girl sein, viele Frauen sind es aber – und das häufig, ohne dass ihnen das überhaupt bewusst ist: Sie wollen anders als andere Frauen sein, nur um in den Augen von Männern begehrenswert zu sein. An welchen Verhaltensweisen „Pick me“ zu erkennen ist und warum jede Frau damit aufhören sollte.

Wenn man auf Tiktok oder Instagram unterwegs ist, sieht man früher oder später Videos, die mit dem Hashtag „Pick me“-Girl versehen sind. Dahinter verbirgt sich nicht ein weiterer kurzlebiger Trend, dem man als Erwachsene:r keine Beachtung schenken muss. Vielmehr greift der Begriff ein gesellschaftlich relevantes Phänomen auf.
Was versteht man unter einem „Pick me“-Girl?
Der Begriff „Pick me“ kursiert seit längerer Zeit auf den sozialen Plattformen Tiktok und Instagram. Er wird auf satirische Weise zur Beschreibung von Frauen (oder Mädchen) verwendet, die vorgeben, anders als andere Frauen zu sein.
„Pick me“-Girls können scheinbar nichts mit den Interessen und den Verhaltensweisen ihrer Geschlechtsgenossinnen anfangen: Sie trinken lieber Bier als Rosé, schauen lieber Fußball statt mit Freundinnen einen „Sex and the City"-Abend zu veranstalten. Im Geiste sind sie eigentlich eine von den Jungs: locker, entspannt, witzig. Die englische Bezeichnung „pick me“ bedeutet übersetzt „nimm mich“ – sie soll zum Ausdruck bringen, dass es bei dem Ganzen eigentlich nur um eins geht: um die Bestätigung von (heterosexuellen) Männern.
Was ist „Pick me“-Verhalten?
Auf Tiktoks gibt es unzählige Videos, in denen typische „Pick me“-Verhaltensweisen auf humorvolle Weise dargestellt werden. Doch auch im echten Leben begegnen einem hin und wieder „Pick me“-Girls. Sie sind daran erkennbar, dass sie…
Eigenschaften, Interessen und Verhaltensweisen ablehnen, die klassischerweise als typisch weiblich gelesen werden.
ganz bewusst Dingen nachgehen, die der männlichen Sphäre zugeordnet sind und dies zur Schau zu stellen.
sich lieber mit Männern umgeben, weil ihnen Frauen zu „zickig“ oder unsympathisch sind.
schlecht über anderen Frauen reden, besonders mit Männern.
den klassisch weiblichen Kleidungsstil ablehnen – sie tragen z.B. keine Röcke oder bestimmte Farben.
„Pick me“ beinhaltet Abwertung anderer Frauen
Natürlich gibt es Frauen, die nicht dem klassischen Weiblichkeitsbild entsprechen, die tatsächlich gerne Bier trinken und die keine Freude daran haben, einkaufen zu gehen. Daran ist nichts verkehrt, solange damit keine Abwertung anderer Frauen verbunden ist und wenn die geschlechtsuntypischen Interessen und Verhaltensweisen Ausdruck des authentischen Selbst sind.
Doch genau hierin liegt das Problem. „Pick me“-Girls sind ein Zerrbild vermeintlich männlicher Wünsche – sie sind nicht das, was sie sein wollen, sondern das, was sie denken, was Männer wollen. Der Wunsch, von einem Mann ausgewählt zu werden, unter all den Frauen „die Eine“ zu sein, bringt sie dazu, ihre feminine Seite zu unterdrücken. Schon alleine deswegen ist die Ablehnung von geschlechtstypischen Eigenschaften kein emanzipatorischer oder feministischer Akt.
Hinzu kommt noch, dass „Pick me“-Girls andere Frauen abwerten, die im Sinne der Geschlechterdifferenzen „gewöhnlich“ erscheinen. Besonders im Gespräch mit Männern lassen sie sich über andere Frauen aus, um sich selber zu profilieren: Sie sagen Dinge wie „Ich würde mr niemals künstliche Nägel machen lassen“ oder „Ich verstehe Frauen nicht, die den ganzen Tag auf hohen Hacken rumlaufen“.
Damit reproduzieren „Pick me“-Girls Geschlechterklischees, indem sie ein vereinfachtes, eindimensionales Bild von Frauen zeichnen – aber indirekt auch von Männern. Sie unterstellen ihnen nämlich, insgeheim nur einen ganz bestimmten Typ Frau wirklich begehrenswert zu finden.
„Pick me“: Internalisierter Sexismus und niedriges Selbstbewusstsein
Die Wurzeln der „Pick me“-Mentalität reichen in die 1990er-Jahre. Teenie-Filme und romantische Komödien waren lange Zeit nach einem ganz bestimmten Muster aufgebaut: Die unscheinbare, aber herzensgute Protagonistin, die übergroße Latzhosen und Karo-Hemden trägt, gewinnt das Herz des Highschool-Schönlings und sticht damit ihre Konkurrentin aus – ein bösartiges, dümmliches Mädchen, das die Verkörperung des Femininen schlechthin darstellt: stets geschminkt, lange, perfekt frisierte Haare, gefärbte Nägel und figurbetonte Kleidung, bevorzugt in Pink, Rosa und Lila.
Diese Figurenkonstellation, die in den letzten knapp drei Jahrzehnten in unzähligen Filmen durchexerziert wurde, transportiert zwei Botschaften ganz deutlich: Feminin zu sein, ist schlecht. Anders als andere Frauen zu sein, macht dich interessanter und begehrenswerter für das andere Geschlecht. Die mediale Präsentation des Weiblichen hat einen entscheidenden Anteil an der internalisierten Misogynie, dem verinnerlichten Sexismus, der dem „Pick me“-Phänomen unterliegt. Frauen versuchen sich von anderen Frauen abzugrenzen, weil ihnen eingepflanzt wurde, dass es nicht erstrebenswert ist, feminin zu sein.
Die internalisierte Misogynie und der Umstand, dass das Weibliche in der medialen Darstellung immer nur die männliche Gunst zum Fluchtpunkt hat, sind zudem eine Erklärung dafür, dass sich „Pick me“-Girls immer in Konkurrenz zu anderen Frauen sehen. Damit sie einen Mann für sich gewinnen, müssen sie nicht nur besonders sein, sondern allen Frauen ihre Einzigartigkeit und Liebenswürdigkeit absprechen. Auf individueller Ebene lässt sich das „Pick me“-Phänomen auf ein niedriges Selbstbewusstsein herunterbrechen. Das Gefühl nicht gut genug zu sein, kann den Glaubenssatz befeuern, anders sein zu müssen.
Wie Sie Ihr inneres „Pick me“-Girl zum Schweigen bringen
Nicht immer wird das „Pick me“-Verhalten bewusst eingesetzt. Vielen Frauen ist gar nicht klar, dass Teile ihrer Identität und ihre Meinung über geschlechtstypische Dinge das Resultat von verinnerlichtem Sexismus sind. Dass sie sich noch nie gut mit Frauen verstanden haben, weil „sie zu viel Drama“ machen, keinen Lippenstift mögen oder Kleider schrecklich finden, nehmen sie so hin, ohne großartig darüber nachzudenken.
Der wichtigste Schritt, um eigene „Pick me“-Anteile aufzudecken und zu bearbeiten, liegt deswegen darin, die eigenen Glaubenssätze und Verhaltensweisen zu reflektieren. Fragen Sie sich: „Komme ich wirklich nicht mit Frauen klar oder liegt meine Ablehnung darin begründet, dass ich Frauen als Konkurrentinnen ansehe?“ Oder: „Mag ich wirklich keine Kleider an mir oder erlaube ich es mir bloß nicht, meine feminine Seite zum Ausdruck zu bringen?“.
Das Gegenkonzept zum „Pick me“-Girl ist eine Frau, die unabhängig von der Meinung anderer und losgelöst von Geschlechterkonzepten das macht, was im Einklang mit ihren wahren Bedürfnissen und Interessen steht, um so ihr wahres Selbst zu entfalten – und die genau das bei anderen Frauen fördert.