Larvierte Depression: Wenn sich die Trauer im Körper einschreibt

Nicht immer präsentiert sich eine Depression auf dieselbe Art und Weise, nicht immer liegen die typischen Beschwerden wie innere Leere oder Interessenverlust vor. Die larvierte Depression verläuft inkognito – sie ist für Betroffene, Angehörige und häufig auch für Ärzte nicht ersichtlich, da sie sich lediglich durch körperliche Symptome bemerkbar macht. Wie kann man der somatisierten Depression dennoch auf die Spur kommen?

JW Video Platzhalter
Zustimmen & weiterlesen
Um diese Story zu erzählen, hat unsere Redaktion ein Video ausgewählt, das an dieser Stelle den Artikel ergänzt.

Für das Abspielen des Videos nutzen wir den JW Player der Firma Longtail Ad Solutions, Inc.. Weitere Informationen zum JW Player findest Du in unserer Datenschutzerklärung.

Bevor wir das Video anzeigen, benötigen wir Deine Einwilligung. Die Einwilligung kannst Du jederzeit widerrufen, z.B. in unserem Datenschutzmanager.

Weitere Informationen dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Von Menschen, die an Depressionen leiden, hat man häufig eine stereotype Vorstellung: traurig, niedergeschlagen und kraftlos. Doch in der Realität stellt sich die Erkrankung weitaus komplexer dar. So können etwa die Symptome einer Depression beim Mann von den Diagnosekriterien extrem abweichen. Und auch die larvierte Depression hat hinsichtlich der Symptome nicht viel mit der klassischen depressiven Verstimmung gemein.

Eine Frau sitzt mit Kopfschmerzen auf einem Sofa
Kopfschmerzen gehören zu den möglichen Symptomen einer larvierten Depression Foto: iStock_Liubomyr Vorona

Was ist eine larvierte Depression?

Bei einer larvierten Depression handelt es sich um eine depressive Episode, die allerdings nicht direkt erkennbar ist – sie verbirgt sich hinter körperlichen Beschwerden. Darum ist auch häufig von einer maskierten oder somatisierten Depression die Rede. Die typischen Leitbeschwerden einer Depression fehlen oder sind nicht so stark ausgeprägt, dass ihnen ein Krankheitswert zugeschrieben werden kann. Dafür kommt es zu diffusen körperlichen Symptomen, die verschiedenen Krankheitsbildern ähneln können, für die es aber keine organische Erklärung gibt.

Gut zu wissen

Der Begriff Larvieren (lat. larva = Larve) wird im medizinischen Kontext immer dann verwendet, wenn eine Erkrankung nicht direkt sichtbar ist und sich noch nicht als solche entpuppt hat. Von einer versteckten Depression kann man in diesem Fall aber nicht sprechen, da hier neben körperlichen Symptomen auch psychische Beschwerden auftreten.

Larvierte Depression: Diagnose mit Schwierigkeiten

In den 1970er- und 1980er-Jahre wurde die Diagnose larvierte Depression häufig vergeben. Heutzutage jedoch ist sie im wissenschaftlichen und klinischen Kontext nicht mehr von großer Bedeutung. Die larvierte Depression ist im ICD 10, der internationalen Klassifikation von Krankheiten, nicht vertreten, da sie keine eigenständige Erkrankung beschreibt. Vielmehr ist sie eine Diagnose, die häufig nur in der Retrospektive gestellt werden kann. Denn sobald die depressiven Symptome zutage treten, ist die Depression nicht mehr larviert. Körperliche Beschwerden können nur dann sicher mit einer Depression in Zusammenhang gebracht werden, wenn psychische Symptome hinzukommen.

Betroffene, die mit einer nicht klar erkennbaren Depression bei einem Hausarzt oder einer Hausärztin vorstellig werden, erhalten die Diagnosen psychosomatische Störung, Somatisierungsstörung oder Hypochondrie. In der psychotherapeutischen Arbeit hingegen wird der Begriff noch verwendet, um Symptome ohne organische Ursache und bei Verdacht auf eine Depression auf prägnante Weise beschreiben zu können.

Eine larvierte Depression kann als Erklärung theoretisch auf eine Vielzahl an körperlichen Beschwerden angewendet werden und daher mitunter zu falschen Schlüssen führen. Aber das Wissen darüber, dass sich eine Depression zu Beginn allein durch körperliche Beschwerden manifestieren kann, hilft dabei, eine Depression frühzeitig zu erkennen. Das gilt vor allem für Menschen, die schon einmal eine depressive Episode hatten oder die familiär vorbelastet sind.

Somatisierte Depression: Wie kommt sie zustande?

Aber warum drückt sich eine Depression bei einigen Menschen am Anfang nur auf körperlicher Ebene aus? Es gibt dafür zwei verschiedene Erklärungen für dieses Phänomen: Es ist möglich, dass die psychischen Beschwerden sehr wohl präsent sind, aber dass Betroffene ihre Gefühle und Zustände nicht wahrnehmen können. So gelangen die typischen Symptome einer Depression wie Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit nicht an die Oberfläche – obwohl sie innerpsychisch vorhanden sind.

Eine andere Erklärung ist, dass Betroffene möglicherweise so sehr mit ihren körperlichen Symptomen beschäftigt sind, dass sie ihre psychischen Beschwerden auf diese zurückführen. So schieben sie etwa ihre ständige Erschöpfung und Antriebslosigkeit darauf, dass sie nicht gut schlafen. Oder monatelange sexuelle Unlust erklären sie sich damit, dass sie viel Stress auf der Arbeit haben.

Larvierte Depression: Symptome

Die Leitsymptome einer Depression – Niedergeschlagenheit, Interessenverlust und innere Leere – zeigen sich bei einer larvierten Depression nicht oder kaum. Betroffene können durchaus Freude empfinden und ihren Alltag bewältigen. Die Anzeichen einer larvierten Depression zeigen sich ausschließlich auf körperlicher Ebene. Die folgenden Symptome können im Rahmen einer somatisierten Depression auftreten:

  • Kopfschmerzen

  • Rückenschmerzen

  • Schwindel

  • Missempfindungen und/oder Taubheitsgefühle

  • Schmerzzustände

  • Libidoverlust

  • Infektanfälligkeit

  • Schlafstörungen

  • Magen-Darm-Beschwerden: Bauchkrämpfe, Schmerzen im Oberbauch, Völlegefühl, Verstopfung

  • Vermehrter Harndrang

  • Appetitmangel und daraus resultierend Gewichtsverlust

  • Druckgefühl auf der Brust

  • Niedriger oder hoher Blutdruck

  • Atembeschwerden

  • Sehstörungen

Für sich genommen weist keines der Symptome auf eine Depression hin. Da eine larvierte Depression nur schwer fassbar ist, gibt es keinen Test zur Selbsteinschätzung, wie es etwa bei anderen Diagnosen möglich ist. Aufhorchen sollte man jedoch, wenn mehrere der oben genannten Beschwerden ohne organische Ursache dauerhaft auftreten. Manche Beschwerden, wie etwa Schlafstörungen und Libidoverlust, kommen zudem häufig bei der klassischen Depression vor und dienen daher ebenfalls als wichtige Anhaltspunkte, um eine beginnende Depression zu enthüllen.

Larvierte Depression: Behandlung

Eine somatisierte Depression erfordert die gleiche Behandlung wie eine klassische Depression. Zum Standard gehört die kognitive Verhaltenstherapie, in der negative Gedankenmuster korrigiert werden können. Auch eine emotionsfokussierte Therapie, die den Umgang mit Gefühlen in den Fokus stellt, und eine tiefenpsychologische Therapie, mit der sich unbewusste innere Konflikte herausarbeiten lassen, eignen sich zur Behandlung einer larvierten Depression.

Im Falle einer leichten oder mittelschweren Depression können zudem natürliche Antidepressiva ausprobiert werden. Als bewährt gelten hoch konzentrierte Johanniskraut-Präparate. Pflanzliche Mittel mit Baldrian, Hopfen und Melisse helfen zudem gut gegen Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Unterstützende Maßnahmen wie Licht-, Bewegungs- oder Wachtherapie können zusätzlich dabei helfen, körperliche und psychische Beschwerden zu reduzieren.

Kann allein durch diese Maßnahmen keine deutliche Besserung erzielt werden, besteht die Möglichkeit, Antidepressiva einzusetzen. Am häufigsten werden Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) verschrieben. Sie erhöhen die Konzentration des stimmungsaufhellenden Neurotransmitters Serotonin im Gehirn. Damit eine larvierte Depression nicht direkt wieder auftritt, muss das Antidepressivum mindestens vier Monate nach Verschwinden der depressiven Symptomatik eingenommen werden.