Jähzorn in den Griff bekommen: In 5 Schritten gelingt es
Tobender Autofahrer oder brüllende Chefin – jede:r wurde schon einmal Zeuge des Jähzorns anderer Menschen. Je nachdem, wie sehr man selbst in die Situation einbezogen ist, kann das nervig bis beängstigend sein. Doch was, wenn man selbst jähzornig ist? Wer seinen Jähzorn in den Griff bekommen möchte, sollte sich direkt an die Arbeit machen – 5 Schritte sind dafür notwendig.
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- Jähzorn in der Psychologie
- Jähzorn: Ursachen der plötzlichen Wutanfälle
- Jähzorn bei Erwachsenen: Die häufigsten Auslöser
- Jähzorn bei Kindern: Ist das noch normal?
- Wer jähzornig ist, schadet seinem Umfeld
- Jähzorn in den Griff bekommen in 5 Schritten
- Jähzorn behandeln: Wie sieht die Jähzorn-Therapie aus?
- Gibt es Jähzorn bei Frauen?
- Bin ich jähzornig? Test zur Selbsteinschätzung
Den Jähzorn sich streitender Autofahrer zu beobachten, mag vielleicht noch amüsant sein. Doch die meisten Zornesattacken spielen sich zu Hause ab und sind für die Angehörigen – allen voran betroffene Kinder – mit großem Leid verbunden. Auch die jähzornigen Menschen selbst leiden häufig stark an den unkontrollierbaren Wutausbrüchen; vor allem hinterher, wenn der Zorn verpufft ist und sich Reue und Scham breitmachen. Sich vom eigenen Jähzorn zu befreien, ist darum ein tiefer Wunsch vieler Betroffener.

Jähzorn in der Psychologie
Die „Bibel“ zum Thema Jähzorn stammt von dem Schweizer Theodor Itten, der bis 2021 als freischaffender Psychotherapeut in St. Gallen arbeitete. Das Werk mit dem Titel „Jähzorn: Psychotherapeutische Antworten auf ein unberechenbares Gefühl“ erschien erstmals im Jahr 2007. Itten beschäftigt sich darin mit den Fragen nach dem Ursprung des Jähzorns, seinen Anzeichen und dem richtigen Umgang damit.
Als Datenbasis befragte er rund 600 Personen zu ihren persönlichen Erfahrungen mit Jähzorn. Dabei bezeichneten sich 24 Prozent der Befragten als jähzornig. Laut Itten ist das Bezeichnende am Jähzorn, dass die überbordende Wut so plötzlich das Ruder übernimmt. Die Betroffenen fühlen sich „sofort von 0 auf hundert“, werden laut, beleidigend und teils sogar gewalttätig.
Itten beschreibt das so: „Im Jähzorn brechen Gefühle aus einem Menschen heraus, die ansonst religiös oder moralisch-ethisch unterdrückt werden, um bei den Mitmenschen einen guten Eindruck zu machen. Jähzorn ist ein Zorn, der plötzlich in den Beziehungsalltag hineinplatzt.“ Für die Betroffenen fühlt sich die plötzliche Wut häufig explosiv an, wie ein ausbrechender Vulkan, den niemand stoppen kann, am wenigsten sie selbst.
Jähzorn: Ursachen der plötzlichen Wutanfälle
Itten sieht im Wesentlichen zwei mögliche Motivationen hinter einem Jähzorn-Anfall: Dominanzgebaren oder Verteidigung. Im ersten Fall vergleicht er jähzornige Menschen mit wütenden Tieren, die mit eindrucksvollen Drohgebärden ihre „Vorrangstellung in der Herde“ sichern wollen. Im zweiten Fall sieht er die Wutattacke im Vergleich mit dem Tierreich als letzte Möglichkeit, sich als Beutetier vor dem sicheren Tod durch den Jäger zu schützen. Letzteres wäre auch eine mögliche evolutionsbiologische Erklärung für den Jähzorn des Menschen; vielleicht haben es einzelne Individuen unserer Art einst geschafft, Raubtiere durch Jähzorn-Ausbrüche zu vertreiben und sich selbst so das Leben zu retten.
Allerdings gibt es auch andere Erklärungsansätze: So könnten veränderte Hirnstrukturen bei jähzornigen Menschen hinter den häufigen Wutattacken stecken. Studien zufolge lässt sich Jähzorn sogar in Gehirnscans zeigen – demnach sind bei Betroffenen bestimmte, für die Emotionsregulation verantwortliche Hirnregionen weniger stark ausgebildet.
Jähzorn bei Erwachsenen: Die häufigsten Auslöser
Jähzorn bei Erwachsenen wird häufig durch scheinbar nichtige Ereignisse ausgelöst, die aber immer ähnliche Gefühle in den Betroffenen auslösen. Viele Jähzornige geben als Auslöser in der akuten Situation das Gefühl an, nicht respektiert oder akzeptiert zu werden, sich übergangen oder ausgeschlossen zu fühlen. Häufig wird auch ein geringes Selbstwertgefühl als Ursache für Jähzorn genannt. Auch bei Menschen mit Narzissmus kommt Jähzorn häufiger vor – man spricht dann von narzisstischer Wut.
Itten nennt Beispiele, die die von ihm befragten Personen als Auslöser für ihren Jähzorn aufzählten, darunter:
„Sich verbal oder körperlich angegriffen fühlen“
„Ignoriert oder missverstanden werden“
„Enttäuschte Erwartungen“
„Das System, in dem wir leben, behandelt einen ungerecht“
„Von anderen verraten werden“
„Ein innerer Reizpunkt wird gezwickt“
Jähzorn bei Kindern: Ist das noch normal?
Jähzorn bei Kindern ist – auch, wenn er Eltern einiges abverlangt – im gewissen Rahmen normal und gehört zur gesunden kindlichen Entwicklung dazu. Kinder haben noch keine Impulskontrolle gelernt, sie werden von ihren Gefühlen „überrollt“ und müssen erst noch trainieren, mit starken Emotionen wie Wut umzugehen. Was es dafür braucht, sind allen voran geduldige und verständnisvolle Eltern. Risikofaktoren für häufige Jähzorn-Attacken bei Kindern sind dagegen Bewegungsmangel, Reizüberflutung, Stress und Sorgen sowie Schlafmangel.
Wenn die Wutanfälle bei Kindern über vier Jahren aber noch sehr häufig auftreten und den Alltag der Kinder stark belasten, kann es sinnvoll sein, mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin darüber zu sprechen. Denn wenn tieferliegende Probleme dazu führen, dass Kinder nicht lernen können, ihre Emotionen zu regulieren, werden aus ihnen unter Umständen später jähzornige Erwachsene.
Pathologischer Jähzorn: Impulskontrollstörung als Diagnose
Die Diagnose „pathologischer Jähzorn“ gibt es nicht – allerdings wird im Diagnosekatalog ICD-11 die sogenannte intermittierende explosible Störung unter dem Punkt „Impulskontrollstörungen“ aufgelistet. Diese Störung liegt laut Diagnosekriterien vor, wenn…
...der oder die Betroffene mindestens sechs Jahre alt ist.
…es in drei Monaten mindestens zweimal pro Woche zu Aggressionsausbrüchen kommt, bei denen kein Sachschaden entsteht und niemand verletzt wird oder innerhalb eines Jahres mindestens drei Gewaltausbrüche auftreten, bei denen ein Sachschaden entsteht oder Personen verletzt werden.
...die Zornesausbrüche in keinem Verhältnis zum Auslöser stehen.
...die Ausbrüche negative Konsequenzen für die betroffene Person haben.
...keine andere Erkrankung zugrunde liegt, die die Wutausbrüche erklären könnte.
Wer jähzornig ist, schadet seinem Umfeld
„Jede Person, die zum Jähzorn neigt, weiß, es kann jederzeit passieren“, schreibt der Experte Itten. „Das wissen ihre Mitmenschen auch.“ Der letzte Punkt ist vielleicht der, der den Jähzorn so zerstörerisch macht. So herrscht in manchem Team eine bedrückte Atmosphäre, sobald der cholerische Chef oder die jähzornige Chefin anwesend ist. Alle bewegen sich vorsichtig, um die gefühlt ununterbrochen tickende Bombe nicht zur Explosion zu bringen.
Noch trauriger ist es wohl, wenn Kinder in solch einer Atmosphäre aufwachsen und stets wie auf rohen Eiern laufen, um ihren jähzornigen Elternteil nicht zu verärgern. In den meisten Fällen geben sich Kinder selbst die Schuld an den Wutausanfällen des Vaters oder der Mutter. Kinder neigen ohnehin dazu, sich für Konflikte und missglückte Situationen die Schuld zu geben und die Verantwortung für das funktionierende Familienleben zu übernehmen. In diesem Fall bekommen sie sogar recht eindeutig vermittelt, die Schuldigen zu sein: Sie haben den Ausbruch ausgelöst, also tragen sie auch die Schuld daran. Dass Kinder vom Jähzorn ihrer Eltern einen seelischen Schaden davontragen können, verwundert darum nicht.
Auch Liebesbeziehungen werden es kaum unbeschadet überstehen, wenn ein:e Partner:in ständig die ungezügelte Wut der oder des anderen abbekommt. Schließlich kann die Folge regelmäßiger Zornesausbrüche auch sein, dass sich das soziale Umfeld distanziert – dass sich etwa Freund:innen zurückziehen oder die Partnerschaft zerbricht.
Jähzorn in den Griff bekommen in 5 Schritten
Um den eigenen Jähzorn in den Griff zu bekommen, sind 5 Schritte notwendig:
1. Einsicht
Den eigenen Jähzorn zu bewältigen ist eine schwierige Aufgabe. Doch wer sich dieses Ziel gesetzt hat, hat die wichtigste Etappe bereits erklommen: die Einsicht. Sich selbst einzugestehen, dass nicht „die anderen“ an den ständigen Wutausbrüchen schuld sind, sondern der eigene Jähzorn das Problem ist, ist der wichtigste und vielleicht schwierigste Schritt auf dem Weg zu einem entspannteren Leben für sich selbst und das Umfeld.
2. Veränderungsmotivation
Wer seinen eigenen Jähzorn als Problem erkannt hat, mag sich vielleicht zunächst als Opfer der eigenen Wut fühlen. Denn tatsächlich scheint der Zorn in der akuten Konfliktsituation wie eine Übermacht Besitz von den Betroffenen zu ergreifen und sie können ihr eigenes Handeln kaum noch kontrollieren.
Aber es ist möglich, das eigene Verhalten zu verändern – auch, wenn das mit einem enormen Kraftaufwand verbunden ist. Betroffene sollten sich bewusst machen, welche Auswirkungen das eigene Verhalten auf ihr Umfeld hat. Diese Gedanken können eine Motivationshilfe sein bei dem Vorhaben, den eigenen Jähzorn zu bewältigen. Wer sich sicher ist, diesen Weg gehen zu wollen, sollte sich im nächsten Schritt ganz intensiv mit sich selbst befassen.
3. Dem Jähzorn auf den Grund gehen
Jetzt heißt es, sich möglichst gut selbst kennenzulernen und herauszufinden, was genau die Wutanfälle auslöst. Betroffene können sich etwa fragen: Sind es immer typische Situationen, in denen mir die „Hutschnur platzt“? Gibt es Erlebnisse in meiner Kindheit (beispielsweise ein jähzorniger Elternteil), die meinen eigenen Jähzorn gefördert haben; gibt es Triggerpunkte, die bei mir immer wieder zu Ausrastern führen?
Auch die Gefühle in der konkreten Situation sind interessant: Wie fühle ich mich kurz bevor, während und nach dem Ausraster? Davor fühlen sich viele etwa hilflos, übergangen oder missachtet. Eine typische Empfindung während eines Zornesausbruchs ist ein Gefühl der Erleichterung und des entweichenden Drucks. Hinterher sind meist Scham und Reue die vorherrschenden Gefühle.
Wer die Abläufe in seinem Gefühlsleben während eines Jähzorn-Anfalls so genau analysiert, kann vielleicht auch Schlupflöcher entdecken, in denen ein „Ausbruch aus dem Ausbruch“ möglich ist: Kann ich mir etwa anders Erleichterung verschaffen, als durch Losbrüllen? Kann ich die aufkommende Wut frühzeitiger erkennen und schnell die Situation verlassen, um die Eskalation zu noch abzuwenden? Wann wäre der beste Zeitpunkt, um die Reißleine zu ziehen?
4. Strategien für den Ernstfall lernen
Im nächsten Schritt sollten konkrete Exitstrategien für den Ernstfall überlegt und eingeübt werden: Dazu gehört beispielsweise der Klassiker „Innehalten, tief in den Bauch atmen und bis 10 zählen“. Empfehlenswert ist es zudem, das engste Umfeld in das Vorhaben mit einzubeziehen und beispielsweise ein Codewort zu vereinbaren, das einen anbahnenden Wutanfall signalisiert. Die betroffene Person kann bei aufkommender Wut das Codewort sagen und schnell den Raum verlassen – die Angehörigen wissen dann, was los ist, und die Jähzorn-Attacke ist fürs Erste abgewendet.
5. Neuen Anfällen vorbeugen
Im letzten Schritt geht es um Vorbeugemaßnahmen, die gewissermaßen den gesamten Alltag umfassen. Denn wer häufig gestresst ist, zu wenig Schlaf bekommt oder ständig angespannt ist, hat eine deutlich kürzere „Zündschnur“. Die beste Jähzorn-Vorbeugung wäre es darum, stets ausgeschlafen und tiefenentspannt zu sein. Da der Alltag der meisten Menschen das nicht unbedingt hergibt, ist es sinnvoll, Strategien zu erlernen, um mit Stress und Anspannung umzugehen und sie trotz Zeit- und Leistungsdruck im Alltag möglichst „kleinzuhalten“. Hilfreich ist es dafür beispielsweise, Entspannungsübungen bei Stress zu trainieren und gezielt Konfliktstrategien zu erlernen, beispielsweise mit Hilfe eines Therapeuten oder einer Therapeutin.
Auch regelmäßiger Sport kann einen enormen ausgleichenden Effekt haben. Denn bei der Bewegung werden Stresshormone abgebaut und angestaute Wut kann entweichen – ohne, dass die Aggression gegen andere Menschen gerichtet wird.
Jähzorn behandeln: Wie sieht die Jähzorn-Therapie aus?
Wer stark unter seinem Jähzorn leidet oder es nicht schafft, die überbordende Wut allein in den Griff zu bekommen, kann eine Psychotherapie machen und dabei unter anderem Verhaltensstrategien erlernen, das heftige Gefühl besser zu regulieren. Manchmal treten begleitend andere Erkrankungen wie depressive Verstimmungen, Angststörungen oder Suchterkrankungen auf – auch diese sollten entsprechend behandelt werden.
Gibt es Jähzorn bei Frauen?
Jähzorn kommt durchaus auch bei Frauen vor – bei Männern ist er aber Schätzungen zufolge deutlich weiter verbreitet. Das mag unter anderem damit zusammenhängen, dass Wut ein eher männlich konnotiertes Gefühl ist und ihr Ausdruck bei Frauen gesellschaftlich deutlich weniger akzeptiert ist als bei Männern. Sind Frauen aber jähzornig, leidet ihr Umfeld genauso darunter wie bei jähzornigen Männern – auch dann sind vor allem Kinder und beispielsweise beruflich Untergebene die Leidtragenden.
Bin ich jähzornig? Test zur Selbsteinschätzung
Wer mehreren der folgenden Aussagen zustimmt, ist womöglich jähzornig:
Ich bin schon häufig wegen völliger Nichtigkeiten komplett ausgerastet.
Es macht mich wahnsinnig wütend, wenn ich mich nicht respektiert fühle.
Es kommt oft vor, dass ich während eines Streits so laut schreie, dass andere sich eingeschüchtert fühlen.
Ich habe manchmal das Gefühl, andere meiden mich oder fassen mich mit „Samthandschuhen“ an, weil sie meine Reaktion fürchten.
Andere schätzen mich als impulsiv und aggressiv ein.
Wer sich nach diesem Test als jähzornig einschätzt und etwas daran ändern möchte, kann die obenstehenden Tipps ausprobieren. Es ist aber immer auch eine gute Idee, sich dabei professionelle Unterstützung zu holen. Dasselbe gilt für Menschen mit einem cholerischen Partner oder einer jähzornigen Partnerin; der Umgang mit diesen Menschen ist häufig alles andere als einfach und auch hier ist häufig die Unterstützung eines Therapeuten oder einer Therapeutin hilfreich.
Betroffene, die ihren eigenen Jähzorn in den Griff bekommen wollen, haben den ersten und schwierigsten Schritt schon geschafft – nämlich die Einsicht in das Problem und den Entschluss, selbst an der Lösung zu arbeiten.
Quellen:
Itten, Theodor (2007): Jähzorn: Psychotherapeutische Antworten auf ein unberechenbares Gefühl, Wien: Springer.
Pathologischer Jähzorn (intermittent explosive disorder), in: psylex.de
Intermittierend explosible Störung, in: pschyrembel.de