Hautkrebs-Behandlung: Immuntherapie verbessert Heilungschancen drastisch
Die neueste Therapie bei der Hautkrebs-Behandlung – Professor Dr. Christoffer Gebhardt erklärt die Revolution in der Krebstherapie.

„Bei der Hautkrebs-Behandlung gibt es enorme Fortschritte“, sagt Professor Dr. Christoffer Gebhardt von der Uni-Klinik in Hamburg. Er ist einer der führenden Dermato-Onkologen in Deutschland. Im Interview erklärt er die Rolle der Immuntherapie bei Hautkrebs, Heilungschancen und inwiefern bei schwarzem Hautkrebs die Behandlung vielversprechend sein kann.
Professor Gebhardt, wenn ein Patient mit gestreutem schwarzem Hautkrebs zu Ihnen kommt, was bleibt Ihnen dann noch übrig, als ihn beim Sterben medizinisch zu begleiten?
Inzwischen eine ganze Menge. Zum Glück. Was Sie beschreiben, ist grob vereinfacht das Vorgehen aus dem dunklen Zeitalter der Dermato-Onkologie. Diese Zeit endete 2011. Bis dahin war es tatsächlich so, dass wir den Menschen, die mit solch einer Diagnose zu uns kamen, eine Chemotherapie gaben und dann im Prinzip nur hoffen konnten. Denn heilen konnten wir den Krebs meist nicht, nur versuchen, das Leiden zu mindern. Das muss man so sagen.
Trotzdem gab es auch damals Menschen, die überlebten.
Ja. Es gab eine sehr kleine Prozentzahl von Patientinnen und Patienten, bei denen sich der Krebs so stark zurückbildete, dass er selbst mit besten Nachweisverfahren nicht mehr aufzuspüren war. Wir nennen das eine Komplettremission.
Man könnte auch sagen: ein Wunder.
Ja. Nur konnten wir dieses Wunder weder wirklich erklären, noch wussten wir, welche Maßnahmen wesentlich dazu beigetragen hatten. Das änderte sich dann vor gut zehn Jahren.
Was ist damals geschehen?
Auf Grundlage der Forschungsarbeiten von Tasuko Honjo und James Allison (Nobelpreis für Medizin 2018) und den ersten klinischen Studien an Melanompatienten haben wir herausgefunden, wie wir die mächtigste Waffe, die jeder von uns in sich trägt, gegen den Feind einsetzen können. Oder anders gesagt: Wir haben verstanden, wie das Immunsystem gegen Krebs programmiert werden kann.
Wie konnte es zu diesem Forschungserfolg kommen?
Dazu sollte ich zunächst beschreiben, wie Krebs überhaupt entstehen kann.
Wie entsteht Hautkrebs?
Bitte erklären Sie:
Krebs ist eine fehlregulierte genetische Veränderung von Zellen. Diese Fehler entstehen bei der Zellteilung entweder zufällig oder aber durch Substanzen oder auch Strahlungsarten, die das Erbgut schädigen können. Diese Schäden können in allen Regionen des Erbguts, in allen unseren etwa 30.000 Genen und den weiteren sogenannten nicht-kodierenden Genomabschnitten, auftreten, aber es sind nur wenige, die darüber entscheiden, ob Krebs entsteht oder nicht. Diese Onkogene beziehungsweise Tumorsupressorgene, kann man sich vorstellen wie Schalter, die durch geeignete Schäden gedrückt werden können. Mit jeder Schalterbetätigung – wir sprechen in der Krebsforschung von Hits – kann das Risiko steigen, dass aus einer gesunden Zelle eine Tumorzelle wird. In diesem Zusammenhang gibt es die Theorie der multiplen Hits. Sie besagt: Je mehr Onkogene an- und Tumorsuppressorgene ausgeschaltet werden, umso höher das Risiko, dass die Zelle entartet und aggressiver wird.
Was geschieht, wenn ausreichend viele dieser Gene an- beziehungsweise ausgeschaltet sind?
Dann kommt zunächst noch ein zweiter, wichtiger Punkt hinzu: Nicht alle Zellen im Körper haben das Potenzial, zu einer relevanten Tumorzelle zu werden. Soweit wir wissen, sind bei der Tumorentstehung ganz besonders Zellen entscheidend, die eine lange Lebensdauer haben. Beispielsweise Stammzellen, die wir teilweise unser ganzes Leben in uns tragen.
Und solche Zellen haben wir auch in der Haut?
Ja, diese melanozytären Stammzellen sitzen gut geschützt von vielen Zelllagen, ganz tief unten in der Haut. Aber wenn diese Zellen entarten, dann können sie zur Mutterzelle eines bösartigen Tumors, in diesem Falle des Melanoms, werden.
Somit genügt eine einzige entartete Zelle, um an Krebs zu erkranken?
Theoretisch ja. Jedoch muss diese Zelle nicht nur genetisch entartet sein, sondern zahlreiche weitere Sicherheitsstufen des Immunsystems austricksen.
Welche?
Jede Zelle unseres Körpers hat ein internes Sicherheitsprogramm. Es erkennt, wenn Mutationen in der DNA auftreten, und es gibt Reparaturmechanismen, die dann in Gang gesetzt werden, um diese Mutationen, diese Erbgutveränderungen zu reparieren. Wenn das nicht klappt, dann startet das interne Selbstmordprogramm. Diese sogenannte Apoptose sorgt dafür, dass die Zelle von sich aus eingeht. Und sollte auch das nicht wirken, gibt es noch die tumorzell-extrinsischen Mechanismen (an erster Stelle unser Immunsystem), die die fehlerhafte Zelle erkennen und von außen attackieren und sie entfernen. All diese Programme können von Krebszellen aber so manipuliert werden, dass sie wirkungslos bleiben.
Welche Folgen hat das?
Dann ist diese veränderte Zelle tatsächlich in der Lage, immer weitere Mutationen anzuhäufen und immer aggressiver zu werden. Ein typisches Phänomen bei Tumorzellen.
Spätestens jetzt müsste das Immunsystem aber doch auf den Feind reagieren.
Stimmt. Normalerweise ist unser Immunsystem der beste Schutz vor dem Auswachsen eines bösartigen Tumors aus einer so veränderten, also transformierten, bösartigen Tumorzelle. Doch es gibt Mechanismen, die die Tumorzelle nutzen kann, um dieser Kontrolle durch das Immunsystem zu entgehen. Wir nennen das Immun-Evasion oder Immun-Escape.
Wie gelingt dem Tumor die Flucht vor dem Immunsystem?
Indem beispielsweise die Oberfläche der Tumorzelle dem Immunsystem signalisiert: „Ich bin gesundes Körpergewebe und ihr braucht keinen Angriff zu starten!“ Also beruhigende Elemente. Diese Elemente sind so effizient, dass sie die Tumorumgebung, dieses Mikromilieu, sogar dazu anregen, dem Tumor beim Wachsen zu helfen. Wir nennen das Tumorpromotion, was einer perfiden Täuschung des Immunsystem gleichkommt. Das ist vom Prinzip her erschreckend genial.
Wie oft entarten Zellen?
Wir gehen davon aus, dass jeden Tag in jedem Menschen etwa 100 Tumorzellen entstehen. Und jede dieser entarteten Zellen wird normalerweise von einem der genannten Sicherheitsmechanismen daran gehindert, sich zu einem bösartigen Tumor zu entwickeln.
Was begünstigt die Zellentartung?
Zum Beispiel jede Form von immununterdrückender (immun-supprimierender) Medikation, wie sie beispielsweise Organtransplantierte erhalten. Auch zum Beispiel Menschen, die mit einem Erbdefekt geboren werden, der die DNA-Schadensreparatur verhindert oder beeinträchtigt, haben ein deutlich gesteigertes Risiko, Tumorerkrankungen zu entwickeln. Dazu kommt natürlich prinzipiell jedes Schadensereignis, jeder Sonnenstrahl, jedes alkoholische Getränk, jeder Tankvorgang, bei dem wir giftige Gase einatmen. All das kann Erbgutschädigungen auslösen.
Ein Sonnenbrand genügt also?
Wir können nicht exakt beziffern, wie schädlich ein Sonnenbrand oder ein Vollrausch ist. Aber: Bräune ist immer ein Zeichen dafür, dass Schädigungen in der Haut passiert sind. Die Bräune ist eine Adaptionsleistung der Haut, eine Anpassung an Schädigungen mit dem Ziel, weitere Schäden zu verhindern. Nun ist jedes Organ in der Lage, sich zu adaptieren, wenn wir zum Beispiel Sport treiben, wird der Muskel größer, und wir alle kennen Muskelkater. Das ist nichts anderes als Schädigung des Muskels, das heißt, ein bisschen Schädigung ist Teil des Lebens und auch eingepreist. Das gilt auch für die Haut. Aber es lässt sich kein Schwellenwert definieren, der besagt, ab so und so vielen schädigenden Ereignissen wird es gefährlich. Wir müssen uns bewusst machen, gesunde Bräune gibt es nicht, jeder Sonnenbrand ist schädlich. Und jedes schädigende Ereignis ist in der Lage, Ausgangspunkt eines Tumors zu sein. Insofern spielen wir quasi Lotterie: Je mehr Schadensereignisse wir in die Trommel geben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen Tumor entwickeln.
Wie bewerten Sie einen Tag am Meer in Badehose?
Gehen wir von den hundert Tumorzellen aus, die wir üblicherweise an einem Tag rein zufällig entwickeln, können es in dem Fall auch zusätzlich 10.000 und mehr sein. Da hat dann unser Immunsystem und andere Reparaturmechanismen alle Hände voll zu tun.
Wie kann ich mein Immunsystem stärken?
Welche positiven Einflussmöglichkeiten auf unser Immunsystem haben wir?
Auch hier gibt es keine exakten Daten. Jedoch gibt es grundsätzlich gesichertes Wissen. Also: Jeder Mensch ist mit einer gewissen genetischen Ausstattung geboren, die auch sein Immunsystem vordefiniert. Jeder startet auf einem gewissen Level, und eine Reihe dieser Determinanten sind unabänderlich. Die können wir weder durch Ernährung oder Vermeidung von Sonne ändern. Doch jedes Immunsystem lernt dazu und kann bestmöglich unterstützt werden. Und dieser Einfluss ist von enormer Bedeutung.
Was meinen Sie mit Unterstützung des Immunsystems?
Gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung, wenig bis kein Übergewicht, ausreichend Schlaf, eine ausgewogene Mischung aus Stress und Entspannung, eine positive Lebenseinstellung, ein möglichst erfülltes Leben mit vielen positiven sozialen Kontakten, Familie und Freunden. Wir können feststellen, dass die Menschen, die sich stark und gesund fühlen, tatsächlich auch ein starkes Immunsystem haben. Zugleich können wir den Status des Immunsystems gar nicht so einfach bewerten. Es gibt nämlich nicht den einen Blutwert, anhand dessen wir etwa sagen könnten: „Das Immunsystem ist hochaktiv, gut gerüstet und demzufolge besteht ein niedriges Tumorrisiko.“ Da wird leider auch einiges an Scharlatanerie betrieben, wenn behauptet wird, man könne diese Kraft des Immunsystems einfach mit einem Bluttest bestimmen, so einfach ist es leider nicht.
Dabei wird doch gerade auch von Ihnen viel geforscht…
… und wir wissen immer genauer, was wir alles nicht wissen. Ein Beispiel: Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Patienten, die einen etwas höheren Body-Mass-Index (BMI) haben, etwa an der Grenze zum Übergewicht, dass diese Patienten besser auf die Behandlung mit Immuncheckpoint-Inhibitoren ansprechen. Offenbar sind sie besser gerüstet für diese schlauchenden Therapien. Aber warum genau das so ist, wissen wir noch nicht.
Welche Krebsarten gibt es?
Wie viele Tumorarten gibt es eigentlich?
Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen den hämatologischen Tumoren des blutbildenden Systems und den soliden Tumoren. Und bei den soliden Tumoren unterscheiden wir vor allem die Karzinome und die Sarkome. Die Karzinome, die gehen aus sogenannten Epithelgeweben hervor. Da gehört zum Beispiel auch die Epidermis der Haut dazu.
Das Melanom ist also ein Karzinom?
Nein. Das Melanom ist tatsächlich ein eigenständiger Tumor, weil es aus einer besonderen Zellgruppe hervorgeht: den Melanozyten, den Pigment-bildenden Zellen der Haut, die tatsächlich nicht epithelialen Ursprungs sind. Wenn man da ins Detail geht, wird es etwas komplex …
Bitte versuchen Sie es trotzdem.
In Ordnung, also die Haut – wie übrigens die meisten Gewebe unseres Körpers – besteht aus einer Mischung verschiedener Zelltypen, die sich laufend erneuern. Diese sogenannten Wechselgewebe hat man auch in den inneren Oberflächen. Der gesamte Verdauungstrakt zählt dazu. Denn diese Gewebe müssen vielen verschiedenen Anforderungen genügen: Die Haut etwa soll uns nach außen schützen, sie soll auch verhindern, dass wir beispielsweise Feuchtigkeit und Wärme verlieren, sie soll Wärme- und Wasserhaushalt kontrollieren, sie soll ein wichtiges Immun- und Stoffwechselorgan sein, sie lässt uns Berührungen, Vibrationen, Schmerz empfinden (Nobelpreis für Medizin 2021!). Aber sie soll auch Bewegung ermöglichen, elastisch sein, alle Gelenkfreiheiten geben und uns nicht einschränken.
Wie ist die Haut aufgebaut?
Sie hat drei Schichten: die Oberhaut, die Lederhaut und die Unterhaut. Die Oberhaut, die Epidermis, besteht zu neunzig Prozent aus Keratinozyten. Das sind Zellen aus dem Epithel, also der obersten Hautschicht. Sie bilden zum Beispiel die Hornhaut und haben eine sehr kurze Lebenszeit von üblicherweise drei bis vier Wochen.
Diese Zellen tragen nicht zum Krebsgeschehen bei?
Nein, weil sie nur drei bis vier Wochen alt werden. Im Darm werden diese Epithelzellen sogar nur ein paar Tage alt. Die Zeit reicht nicht aus damit sich dort ein Tumor bilden kann. Allerdings haben auch diese Zellen Vorläufer. Diese sitzen entweder gut geschützt in der Basazellschicht der Oberhaut oder tief unter der Epidermis, in der Dermis, der Lederhaut, wo die Haare gebildet werden. Dort befindet sich ein Epithelschlauch, der Haarfollikel, durch den die Haare an die Hautoberfläche geschoben werden. Etwa auf halber Höhe dieses Haarfollikels befindet sich ein kleines Nestchen (bulge region). Dort sitzen sehr langlebige Stammzellen, sehr gut geschützt vor schädigenden UV-Strahlen. An den Hautkrebszahlen aber können wir leider erkennen, dass trotz dieser Schutzmechanismen UV-Strahlen dorthin gelangen und so Hautkrebs entstehen kann.
Welche Rolle spielen dabei die Melanozyten?
Das sind die pigmentbildenden Zellen, die in der Basalzellschicht der Oberhaut liegen. Sie produzieren das Melanin, den Farbstoff, der für die Hautbräune sorgt, und geben ihn an die Keratinozyten weiter. Diese tragen das in einer passiven Bewegung, wir nennen das terminale Differenzierung, an die Oberfläche. Dort enden sie als Hornschuppe und werden dann abgeschilfert, also abgestoßen. Das Melanin ist im Grunde der Schutzschirm der Haut, der vor Schäden der Sonnenstrahlung schützen soll. Wie aktiv die Melanozyten sind, hängt also direkt davon ab, wie viel UV-Strahlung wir unsere Haut aussetzen. Aber diese Melanozyten können eben auch entarten.
Warum lässt dieses System Krebs überhaupt zu?
Das ist in der Tat eine philosophische Frage. Einfach ausgedrückt lautet die Antwort: Ohne Tumorrisiko kein Leben. Denn unsere Evolution ist nur deshalb möglich, weil bei unseren Zellteilungen Fehler gestattet werden. Auch das ist ein weiterer Aspekt bei der Betrachtung der Immunantwort auf entartete Zellen. Auch dort wird immer mit einer gewissen Unschärfe vom System geurteilt. Da wird eine Fehlerquote in Kauf genommen, um Weiterentwicklung zu ermöglichen.
In welchen Organen kann kein Krebs entstehen?
Es gibt in jedem Organ das Risiko von Tumorerkrankungen. Aber Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen: Es gibt Gewebe mit einem höheren Tumorrisiko als andere, und das hat etwas mit der Exposition gegenüber Noxen (schädigenden Einflüssen/Faktoren von außen) zu tun. Ein Faktor ist also, wie stark das Gewebe den schädigenden Einflüssen ausgesetzt ist. Wir müssen zwei Dinge unterscheiden: Auf der einen Seite gibt es die Tumorentstehung aufgrund von intrinsischen Vorgängen wie der Zellteilung. Und auf der anderen Seite haben wir Tumorentstehung durch aktive (extrinsische) Schädigungen: durch UV-Licht, Alkohol, Asbest, Zigarettenrauch und so weiter.
Warum gibt es dann so viele Hauttumore?
Weil die Haut zwar sehr gut gerüstet ist gegen Schädigungen, aber eben auch sehr viel aushalten muss. Deshalb ist Hautkrebs die häufigste Tumorerkrankung des Menschen: das Basalzellkarzinom an erster Stelle, kutane Plattenepithelkarzinom an zweiter Stelle und erst dann kommen Brustkrebs der Frau, Prostatakarzinom des Mannes, Lungenkarzinom, kolorektales Karzinom (Darmkrebs), und dann schon kommt das Melanom als sechsthäufigster Tumor des Menschen.
Welche Krebsart ist die häufigste?
In Deutschland wird bei etwa 24.000 Menschen Hautkrebs diagnostiziert. Richtig?
Auch da müssen wir ins Detail gehen. Das Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht das, was wir die Krebs-Hitliste nennen. Aktuell stammen die Zahlen aus dem epidemiologischen Krebsregister von 2016, da die Daten immer mit einer gewissen Zeitverzögerung gemeldet und veröffentlicht werden. Da stehen an erster Stelle Brustkrebs und Prostatakarzinom, dann Lungenkarzinom, Darmkrebs und dann der schwarze Hautkrebs, das maligne Melanom, mit rund 24.000 jährlich neuen Krankheitsfällen. Diese Darstellung unterschlägt jedoch bestimmte Hautkrebsformen, die in den epidemiologischen Krebsregistern gar nicht erfasst werden aber viel häufiger vorkommen: Der sogenannte weiße Hautkrebs, auch Nichtmelanom-Hautkrebs genannt, fasst das Basalzellkarzinom und das kutane Plattenepithelkarzinom zusammen und ist mit großem Abstand die häufigste Krebsart mit über 250.000 Neuerkrankungsfällen pro Jahr.
Warum wird er nicht erfasst?
Das ist letztlich eine bürokratische Entscheidung der epidemiologischen Krebsregister. Hinzu kommt, dass auch sogenannte Zweitmalignome nicht erfasst werden. Und besonders Hautkrebs ist durch hohe Multiplizität gekennzeichnet. Das heißt, viele Patienten haben dann mehrere, manche gar zehn und mehr Tumore. Aber diese werden lediglich einmal als beispielsweise Basalzellkarzinom gezählt, selbst wenn da viele auftreten im Laufe des Lebens später vielleicht sogar andere Tumordiagnosen dazu kommen . Und das führt zu einer gewissen Verzerrung der Daten. Würde man die Zweitmalignome dazuzählen und sich an den Daten orientieren, die von den Krankenkassen oder den klinischen Krebsregistern wie zum Beispiel am UKE in Hamburg erfasst werden, käme man auf viel höhere Zahlen. Dann kommen wir für Deutschland hochgerechnet auf insgesamt über 500.000 Hautkrebs-Neuerkrankungen im Jahr und etwa 40.000 Melanom-Patienten.
Wann genau entscheidet sich eigentlich, ob ein Tumor gut- oder bösartig wird?
Das ist eine sehr gute Frage, und ganz ehrlich: Wenn man tief ins Detail geht, ist es in vielen Fällen noch nicht ganz klar. Wir können definieren, was ein bösartiger Tumor ist. Da gibt es die sogenannten Hallmarks of Cancer, im Prinzip eine ganze Liste an Bedingungen. Dazu zählen zum Beispiel das unkontrollierte Wachstum, das Unsichtbarmachen vor dem Immunsystem oder auch bestimmte Mechanismen der Versorgung des Tumors mit Blut und Nährstoffen. Sind diese Bedingungen erfüllt, spricht man von einem bösartigen Tumor. Gutartig bedeutet hingegen: Der Tumor teilt sich und er wächst, aber eben nicht so, dass er andere Strukturen angreift, umliegendes Gewebe zerstört oder gar streut. Ein gutartiger Tumor kann natürlich trotzdem Probleme bereiten, indem er zum Beispiel bestimmte wichtige Strukturen verdrängt. Ein Beispiel: Ein großes Fettgewebsgeschwulst des Unterhautfettgewebes, Lipom genannt, kann schmerzen und auch kosmetisch störend sein. Auch gutartige Tumore des Hirns, die Meningeome, können große Probleme machen, aber sie zeigen eben nicht diese Hallmarks of Cancer, oder lediglich einen sehr kleinen Teil davon.
Sie haben gerade davon gesprochen, dass Krebs zum Beispiel das umliegende Gewebe mit angreifen kann, sich also ausbreitet. Wie entscheidet sich, wie schnell das geht? Ist das abhängig vom Tumor oder von der Krebsart?
Es ist beides. Es gibt Krebsarten, die ein sehr, sehr hohes Metastasierungsrisiko haben, und das bedeutet, dass sie schon in sehr frühen Stadien des Tumorwachstums dieses Streuungsverhalten haben. Und zwar hat das mit dem Ursprungsgewebe zu tun. Wir müssen immer verstehen: Krebs ist die Veränderung von körpereigenem Gewebe, das heißt, die Eigenschaften der Ursprungszellen, tatsächlich so einzigartig wie der Patient selbst, die stecken auch in jedem Krebs mit drin.
Beim Hautkrebs sind das die Melanozyten?
Genau, sie stammen nämlich aus dem Neuralleistenrohr, das ist eine Struktur direkt neben dem Rückenmark, aus dem sich im menschlichen Embryo das gesamte Nervensystem entwickelt. Und die Melanozyten wandern im Laufe der Entwicklung in die Haut ein und besiedeln auf diesem Weg zur Vorderseite des Embryos die gesamte äußere Oberfläche. Das bedeutet, diese Zellen haben ein ausgeprägtes Wanderungsverhalten. Sie gehen gerne auf Wanderschaft, leider, und das machen auch die entarteten Melanozyten sehr früh
Dann ist das aggressive Streuungsverhalten genetisch programmiert?
Richtig, das ist eine bestimmte Eigenschaft, die im Rahmen der Tumorentstehung in den Zellen genetisch vorhanden sein muss – entweder ist sie schon da oder sie ist durch Mutation entstanden. Deshalb kann es passieren, dass bereits ein winziges, nur wenige tausend Zellen umfassendes Primärmelanom streut. Anders ist das bei vielen Formen des weißen Hautkrebses, der oft erst nach Jahren des Wachstums streut, wenn überhaupt.
Wie schafft es ein Tumor überhaupt, sich auszubreiten und Metastasen, also Tochtergeschwülste, zu bilden?
Streuung ist tatsächlich ein faszinierendes Phänomen. Um sich in die Umgebung hineinzubewegen, muss zunächst Bewegung überhaupt möglich sein. Zusätzlich braucht es die Fähigkeit, in dieser feindlichen Umgebung außerhalb des eigenen Zellverbandes, zu überleben und gewissermaßen eine Kolonie zu erschaffen. Und das erfordert unglaublich viele zelluläre Funktionen und an der Stelle wird es wieder komplizierter.
Erklären Sie es uns gerne.
Es sind die sogenannten Pionierzellen, die in die feindliche Umgebung hineinwandern. Und da gibt es zwei Mechanismen. Zum einen die Streuung über die Lymphbahnen, das heißt, diese Zellen sind in der Lage, in Lymphgefäße einzudringen, in der Lymphbahn zu überleben und sich dann im Lymphknoten anzusammeln und dort eine Kolonie, also eine Metastase zu bilden. Und das gleiche Prinzip greift bei der Streuung über die Blutbahnen, bei der die Pioniere eben zunächst die Blutgefäßwand überwinden müssen, sich dann in der enorm feindlichen Umgebung der Blutbahn selbst behaupten und schließlich einen Weg finden müssen, aus der Blutbahn wieder herauszugelangen, in ein Organ hinein und dort anzuwachsen. Wenn man sich das mal im Detail anschaut, ist das, was diese Krebszellen da vollführen müssen, eine wahre Meisterleistung, aber leider zu unser aller Nachteil.
Wie kann ich selbst Krebs erkennen?
Angenommen, ich gehe nicht zur Vorsorge, nicht zum Krebsscreening. Wann würde ich die ersten körperlichen Beschwerden feststellen? Was sind die ersten Symptome, mit denen sich Hautkrebs zeigen kann?
Das kann unglaublich vielfältig sein. Der Vorteil bei Tumoren der Haut ist oft, dass man sie sieht. In einigen Fällen werden sie allerdings übersehen, weil ein frühes Melanom sich zum Beispiel für den Laien nicht wesentlich von einem Leberfleck unterscheidet. Das gilt auch für Formen des weißen Hautkrebses, der sieht nämlich oft nicht wesentlich anders aus als eine kleine Wunde, eine Warze oder eine Narbe. Außerdem verursachen Krebserkrankungen in der Regel keine Schmerzen, zumindest nicht in den frühen Stadien. Wenn ein Tumor gestreut hat, können eine Reihe unspezifischer Symptome auftreten. Wir sprechen dabei von der sogenannten B-Symptomatik. Die Patienten verlieren urplötzlich und ungewollt Gewicht, und entwickeln Nachtschweiß. Abgeschlagenheit, Müdigkeit können ebenso auftreten wie ganz organspezifische Symptome, etwa die Gelbfärbung des Auges oder der Haut, wenn die Leberfunktion bei Lebermetastasen eingeschränkt ist. Derbe tastbare Knoten in Haut oder Unterhaut aber auch Schwellungen in bestimmten Körperbereichen, zum Beispiel in den sogenannten Lymphknotenstationen am Hals, in der Achselhöhle oder in der Leiste können Tumorsymptome sein.
Nehmen wir also an, jemand bemerkt eine auffällige Hautveränderung, was ist der nächste Schritt?
Natürlich rate ich ganz klar zum Hautkrebs-Screening. Es gibt ein sehr gutes gesetzliches Früherkennungsprogramm, das allen Versicherten ab dem 35. Lebensjahr alle zwei Jahre zur Verfügung steht. Das ist die beste Möglichkeit, um Hautkrebs früh zu erkennen. Zur Hälfte wird ein solches Hautscreening von niedergelassenen Dermatologen durchgeführt, zum anderen Teil aber auch in klassischen Hautarztpraxen, die an Dermatologen überweisen, wenn eine Hautveränderung Auffälligkeiten zeigt. Mit der Diagnose Hautkrebs kommen die Patienten dann üblicherweise zu uns, also an ein universitäres Hauttumorzentrum, wo wir sie operativ und systemtherapeutisch versorgen. Die meisten Patienten befinden sich bei Erstdiagnose in einem frühen Krankheitsstadium, dem Stadium I. Erfreulicherweise sind die Heilungschancen dann exzellent. Ist der Primärtumor aber bereits groß, also erreicht er eine Eindringtiefe von mehr als einem Millimeter, sinken die Heilungschancen aber bereits. Zu dem üblichen operativen Vorgehen zählt das Nachschneiden eines Sicherheitsabstands an der Stelle der Primärtumor-OP von ein bis zwei Zentimeter sowie die Markierung und Entnahme des sogenannten Schildwächter-Lymphknoten. Bei einem Teil der Patienten werden dann zusätzlich radiologische Untersuchungen wie MRT und Computertomographie durchgeführt. Spätestens in der metastasierten Situation behandeln wir dann oft systemtherapeutisch.
Systemtherapeutisch bedeutet was genau?
Systemtherapien werden als Infusionen oder Tablettentherapie verabreicht. Am UKE geben wir jährlich mehr als 1.800 Systemtherapien bei fortgeschrittenem Hautkrebs. Diese Zahl wächst jedes Jahr, das hat einfach damit zu tun, dass wir mittlerweile auch – in Studien zumindest – frühere Stadien des Melanoms behandeln, und dass tatsächlich immer mehr Patienten von diesen Therapien langfristig profitieren. Hinzu kommt, dass die Therapien zum Teil über einen langen Zeitraum laufen, bis wir sicher sind, dass wir sie absetzen können. Aktuell haben wir Patienten, die seit fünf Jahren alle zwei bis sechs Wochen Infusionen bekommen.
Über welche Art von Infusionen sprechen wir da?
Da reden wir, ich darf das einmal so sagen, über eine der größten Revolutionen der Krebsmedizin.
Nämlich?
Die Entwicklung der modernen Immuntherapie. Die Idee dahinter ist, sich bei der Krebsbekämpfung etwas zunutze zu machen, was schon da ist: nämlich unser Abwehrsystem. Für gewöhnlich kümmert es sich ja zum Beispiel um Pilze und Viren, und sorgt dafür, dass sie unserem Körper nichts anhaben. Genauso versucht unser Immunsystem, Krebszellen unschädlich zu machen, es sendet eine Immunantwort auf die eingehenden Alarmsignale. Tumorzellen können sich allerdings so geschickt tarnen, dass sie quasi unter dem Radar unserer Abwehr fliegen. An der Stelle setzt die Immuntherapie an.
Wie funktioniert die Immuntherapie bei Hautkrebs?
Wie genau sieht das aus?
Wir analysieren zunächst ganz genau den Tumor, um dem Patienten dann eine passgenaue, man kann beinahe sagen personalisierte Infusion aus bestimmten Antikörpern zu verabreichen. Diese Antikörper aktivieren dann das körpereigene Immunsystem gegen die Krebszellen.
Warum schafft der Körper das nicht alleine?
Dazu muss man wissen, dass unser Immunsystem auf verschiedenen Ebenen stark reguliert ist, damit es eine Balance gibt zwischen notwendiger Aggressivität, um Angreifer abzuwehren, und überschießenden Immunantworten, die dem Gesamtorganismus eher schaden würden. Tumorzellen sind aber so konstruiert, dass sie bestimmte Signale aussenden können, die die Immunantwort bremsen. Die Antikörper, die wir geben, haben den Auftrag, diese Bremse zu lösen. Deshalb nennen das Konzept auch Checkpoint-Blockade.
Blockade hört sich aber kontraproduktiv an …
Hier ist aber das Gegenteil der Fall. Wir müssen uns das so vorstellen: Es gibt eben diese Checkpoints in unserem Immunsystem. Das sind Rezeptoren auf der Oberfläche von T-Zellen, die je nach Bedarf eine Immunantwort steigern oder aber dämpfen – etwa, um zu verhindern, dass körpereigene Zellen und Organe angegriffen werden. Eine zentrale Rolle spielen dabei eben die T-Zellen, die Soldaten des Immunsystems, die sich in die Schlacht werfen gegen die Tumorzellen. Viele Tumorzellen haben aber eine hohe Anzahl an PD-L1-Proteinen, die den „Türstehern“ fälschlicherweise signalisiert: Alles ok, lasst mich durch. Und dann werden sie durchgelassen. Die Antikörper sorgen in diesem Fall also dafür, dass die Tür für die Tumorzellen geschlossen bleibt.
Anders als bei einer Chemotherapie oder Bestrahlung wird also nicht der Tumor selbst angegriffen?
Exakt, stattdessen bringen wir die T-Zellen dazu, die Krebszellen als solche zu erkennen und zu zerstören. Die Antikörper, die diese Aufgabe übernehmen, nennen wir Immun-Inhibitoren, sie unterbrechen die hemmende Wirkung der bösen auf die guten Zellen.
Und bei Hautkrebs wirkt diese Therapie besonders gut?
Das ist so, ganz klar. Bis vor etwa zehn Jahren konnten wir Patienten mit der Diagnose „metastasierter schwarzer Hautkrebs“ im Prinzip nur noch beim Sterben begleiten. Eine wirksame, lebensverlängernde Therapie gab es nicht. Heute können wir in mehr als der Hälfte der Fälle Patienten erheblich mehr Lebenszeit verschaffen, die meisten von ihnen wahrscheinlich sogar heilen. Als ich 2010 noch als junger Assistenzarzt in Heidelberg die ersten Patienten mitbehandeln durfte, war uns dieses enorme Potenzial noch gar nicht bewusst. Wir haben eine von vielen Studien gemacht – und auf einmal haben die Patienten ein unglaublich rasches Ansprechen auf die Therapie gezeigt. Da haben wir gemerkt: Hier passiert gerade wirklich etwas. Auf einmal sind die Patienten nicht mehr nach wenigen Monaten gestorben, sondern lebten noch Jahre durch die Therapie.
Wie kamen Sie darauf, ausgerechnet bei Hauttumoren eine Immuntherapie einzusetzen?
Zu dem Zeitpunkt erforschten die beiden 2018 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichneten Wissenschaftler James P. Allison und Tasuku Honjo schon seit einigen Jahren das Potenzial der Blockade von Checkpoints. Und das Melanom war die erste Tumorart, bei der das Prinzip dieser Checkpoint-Inhibition untersucht wurde.
Warum?
Weil es bekannt dafür ist, sehr immunogen zu sein. Das heißt, es handelt sich um einen Tumor, der besonders gut vom Immunsystem erkannt wird. Genau deshalb müsste eigentlich eine starke Immunantwort ausgelöst werden. In den allermeisten Fällen ist das auch so, aber wir haben über die Fälle gesprochen, in denen die Tumorzellen das Immunsystem austricksen. Die Therapie verstärkt die Immunantwort und führt zu Tumorschrumpfung, und das konnten wir bei der Behandlung von Melanomen sehr gut nachvollziehen.
Wie ist der Forschungsstand heute?
Wir sind aktuell dabei, eine neue Studie zu designen, bei der wir Immun- und Chemotherapie miteinander kombinieren. Die Zielgruppe dafür sind Patienten, bei denen eine Immuntherapie nicht oder nicht ausreichend gewirkt hat. Die Chemotherapie ist offenbar in einigen Fällen in der Lage, das Immunkonzept noch zu verbessern. Die Idee ist, eine niedrig dosierte Chemotherapie zu verabreichen, die eine sogenannte Immunmodulation auslöst, sodass der Körper wieder auf die Immun-Checkpointblocker anspricht. Wir haben bereits gesehen, dass das bei einigen Patienten gelingt. Außerdem arbeiten wir an der Kombination von Immuntherapie mit RNA-basierten Wirkstoffen.
Die Wirkstoffe, die auch im Corona-Impfstoff sind?
Genau. Wir sind sicher, dass sie die Wirkung der Antikörper noch einmal steigern und die Therapie noch effektiver machen können.
Sie forschen in diesem Bereich auch zusammen mit Prof. Uğur Şahin und Prof. Özlem Türeci, den Entwicklern des Corona-Impfstoffs Comirnaty (Biontech).
Richtig, wir führen seit 2012 gemeinsame Studien durch, Uğur Şahin und Özlem Türeci sind ja auch Onkologen. Und ihr Unternehmen in Mainz haben sie vor allem mit Blick auf die Entwicklung neuer Krebstherapien gegründet. Die beiden haben als Visionäre mit Leidenschaft ein extrem gutes Team um sich geschart und sie haben schlicht das riesige Potenzial der mRNA Technologie erkannt und sind dabei es auszuschöpfen. Ein verdientermaßen großer Erfolg, ich denke, die beiden und ihr Team haben gute Chancen auf den Nobelpreis.
Und wie preisverdächtig könnte der Einsatz von mRNA in der Krebsmedizin sein?
Schätzungsweise könnten 10 Prozent aller Medikamente in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren aus der Technologie der mRNA-Vakzinierung stammen. Unter anderem auch für den Einsatz bei Multipler Sklerose, HIV, Malaria und Diabetes. Die mRNA Technologie kann offensichtlich ein ganz fantastischer Verbündeter für Therapien sein und bei Krebs schließt sich jetzt der Kreis, denn das Immunsystem ist einfach ein genialer Schutzmechanismus des Körpers, der sich intelligent an verschiedene Herausforderungen anpassen kann und bisweilen weit über das hinausgeht, was ich vorhin als genetisch determiniert beschrieben habe. Richtig aktiviert, ist es ein idealer Sparringspartner für diese neuen Therapien und für uns behandelnde Ärzte und die Patienten.
Welche weiteren Ansätze gibt es, die Hoffnung machen?
Womit wir uns beschäftigen, ist natürlich die Frage, wie können wir mit modernster molekularer Diagnostik diese neuen Therapien sinnvoll anwenden. Und ich glaube, die molekulare Diagnostik ist wahrscheinlich der Schlüssel für ein erfolgreiches Auf-die-Schiene-setzen dieser neuen Therapien. In puncto Früherkennung forscht man an Bluttests, die zurzeit aber noch eine zu hohe Falsch-Positiv-Rate mit etwa einem Prozent haben. Das heißt, einer von hundert wird fälschlicherweise als Tumorpatient deklariert. Da sind wir in einem Bereich, in dem Tests, Untersuchungen, und Diagnostik im Allgemeinen eine große Verantwortung zukommt. Wir nennen das dann Überdiagnostik, wodurch der Patient nicht nur psychisch belastet wird, sondern womöglich auch physisch, wenn tatsächlich unnötige Operationen durchgeführt werden. Da muss die molekulare Diagnostik noch besser werden, aber wir sind auf einem guten Weg. Ein Beispiel dafür ist die Liquid Biopsie, bei der wir auf Basis einer Blutprobe des Patienten die Therapiestrategie gestalten wollen – dazu läuft bald eine Studie an. Generell wird künstliche Intelligenz (KI) eine große Rolle dabei spielen, auch die Medizin ins nächste Zeitalter zu katapultieren. Denn wir haben es mit gewaltigen Datenmengen zu tun, die intelligent genutzt und gemanagt werden wollen.
Arbeiten Sie denn bereits an solch einer Art Biodatenbank?
Ja. Wir haben mittlerweile bereits eine der größten Biodatenbanken beim Melanom in Deutschland aufgebaut und arbeiten hier am UKE intensiv mit dem Institut für Tumorbiologie von Professor Klaus Pantel zusammen. Wir werden auch bei Studien zur Liquid Biopsie kooperieren. Wir glauben, dass diese das Potenzial haben Practice-changing zu sein, , also zu einer echten Änderung der Therapie, die dann feiner dem Patienten angepasst werden kann.
Wie bekommt man die beste Hautkrebs-Behandlung?
Wann kommt die Impfung, die Krebs vorbeugt?
mRNA-Vakzine bieten eine Möglichkeit, unser Immunsystem hochspezifisch zu stimulieren. Wir machen Studien zur RNA-Vakzinierung schon seit vielen Jahren und aktuell erforschen wir am UKE, inwieweit individualisierte mRNA-Vakzine, die auf die individuellen Mutationen des jeweiligen Tumors angepasst sind, zusammen mit Immuncheckpoint-Blockern bei Melanompatienten wirkungsvoll eingesetzt werden können. Dabei ist entscheidend, welche der Genveränderungen vom Immunsystem besonders gut erkannt werden. In dieser Technologie sehe ich ein enormes Potenzial – nicht nur beim Melanom, sondern auch bei vielen anderen Tumorarten. Das ist in der Tat ein individualisierter Therapieansatz, dessen Konzept auch für eine Prävention taugen könnte.
Klingt einleuchtend – aber auch teuer …
Wir leben in Deutschland in Bezug auf die Verfügbarkeit von Top-Medikamenten – und das ist sehr erfreulich – im Schlaraffenland. Alle Medikamente, die von der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassen werden, können wir sofort unseren Patienten verabreichen. Das ist ein großes Glück und Geschenk und macht uns außerdem zum Innovationsvorreiter in Europa und auch darüber hinaus. Ja, klinische Studien kosten Geld, Innovation kostet, und in gewisser Weise schlägt sich das auf die Medikamentenpreise nieder. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass dies nur einen kleinen Teil der Gesamtgesundheitskosten ausmacht, in der Regel nicht mehr als circa 15 Prozent.
Was möchten Sie uns allen mit auf den Weg geben?
Innovation, die wirkt, darf auch teuer sein. Ich als Arzt werde immer versuchen, meinen Patienten das innovativste und beste Medikament zu geben. Ich möchte heilen und nicht an der falschen Stelle sparen.
Herr Professor Gebhardt, wir danken für das Gespräch über Hautkrebs-Behandlung, über Heilungschancen und die besten Möglichkeiten.
Das Interview führten Natascha Saul und Sebastian Hess.