Experten warnen vor Freedom-Day-Effekt: Lockerungen beenden nicht die Pandemie

Angesichts der geplanten drastischen Lockerungen in Deutschland warnen mehrere Experten vor dem Freedom-Day-Effekt, der sich aktuell in Dänemark zeigt. Was ist damit gemeint?

Freedom-Day-Effekt: Kommen die Lockerungen zu früh?
Freedom-Day-Effekt: Brauchen wir unsere Masken noch? Foto: iStock/Stefan Tomic

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz soll ein Drei-Stufen-Plan zu drastischen Lockerungen beschlossen werden. Stichtag, an dem der Großteil der Corona-Maßnahmen wegfällt, soll der 20. März sein – der deutsche Freedom Day.

Experten warnen allerdings davor, mitten in die Omikron-Welle hinein zu lockern. Ihnen gilt Dänemark als abschreckendes Beispiel.

Freedom Day? Die Omikron-Welle rollt noch

Es stimmt, das Omikron seltener als Delta zu schweren Krankheitsverläufen führt und Deutschlands Gesundheitssystem nicht überlastet ist. Seit dem Wochenende sinkt außerdem die bundesweite 7-Tage-Inzidenz stetig. Dennoch mahnen Mediziner und Epidemiologen zur Vorsicht: Die Omikron-Welle habe ihren Höhepunkt noch nicht erreicht.

"Die sinkende Inzidenz ist ein gutes Zeichen. Aber es ist noch zu früh, um darin das Überschreiten des Höhepunkts der Omikron-Welle zu sehen", sagte Zeeb dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (RND). "Wir brauchen eine Woche, um sicher sagen zu können, ob die Welle zurückgeht."

Angespannte Lage in den Krankenhäusern

Intensivmediziner Uwe Janssens betonte im Interview mit "Focus.de" zudem, dass Omikron sehr wohl Auswirkungen auf die Lage in den Krankenhäusern habe. Statt der Intensivstationen seien es jetzt die Normalstationen vieler Kliniken, die an den Rand ihrer Belastungskapazitäten kommen.

"Die Krankenhäuser sind mitnichten entspannt", sagte der Chefarzt des St.-Antonius-Hospitals Eschweiler und Past-Präsident der Intensivmedizinervereinigung Divi. "Was die Infektionssituation betrifft, habe ich hier in den ganzen zwei Jahren nicht so eine Situation erlebt – mit einer Ausnahme kurz im Herbst 2021."

Was sich beobachten lässt: Seit Ende Januar liegen vermehrt ältere Menschen auf den Intensivstationen. Während in den vergangenen Wochen die Zahl der 60- bis 69-Jährigen auf Intensiv um fünf Prozent auf jetzt 26 Prozent gesunken ist, stiegen die Zahlen der Ü80-Jährigen um sieben Prozent auf insgesamt 18 Prozent und die 70- bis 79-Jährigen um drei Prozent auf insgesamt 24 Prozent. 

"Die Omikron-Welle kommt gerade erst in der gefährdeten Altersgruppe an", schlussfolgert Janssens. "Das Problem wird sein, wenn das Virus in die ältere, ungeimpfte Bevölkerung übergeht."

Corona-Maßnahmen: Vorbild Dänemark?

Geht es um geplante Lockerungen und das Risiko, das daraus entsteht, blicken derzeit viele nach Dänemark. Das Nachbarland im Norden Deutschlands hat am 1. Februar seinen Freedom Day gefeiert und sämtliche Corona-Maßnahmen gestrichen. Begründet wurde der Schritt mit der hohen Impfquote des EU-Landes und mit den milden Verläufen, die Omikron auslöst.

Am Tag vor dem Freedom Day verzeichnete Dänemark eine Rekordinzidenz von 5.445 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen und Woche. In den Tagen danach ging der Wert zurück, nur um dann wieder steil anzusteigen. Zu Wochenbeginn meldete Dänemark eine 7-Tages-Inzidenz von 5.579 – ein Negativrekord.

Freedom-Day-Effekt: Studie zu Dänemarks neuer Freiheit

Auch deswegen fühlen sich die Bürger:innen Dänemarks wohl nicht richtig frei. Eine aktuelle Studie des Forschers Michael Bang Petersen, der im HOPE-Projekt das Verhalten seiner Landsleute während der Pandemie untersucht hat, ergab, dass nur ein Teil der Däninnen und Dänen alle Sorgen über Bord geworfen hat. "Die hohen Infektionszahlen beeinflussen die Menschen, egal, ob es Restriktionen gibt oder nicht", betonte Petersen laut "Focus.de".

Ein gravierender Unterschied bestehe. Vor den Lockerungen hätte der Großteil der Bevölkerung Angst davor gehabt, dass das Gesundheitssystem durch SARS-CoV-2 überlastet wird. Nach dem Freedom Day dominiert die persönliche Sorge, angesteckt zu werden.

"Gerade viele junge Leute haben das Gefühl, sich in einem ständigen Hindernislauf zu befinden, um sich nicht zu infizieren", verdeutlichte der Professor den Freedom-Day-Effekt. "Nur weil die Maßnahmen aufgehoben sind, ist die Epidemie ja nicht verschwunden."

Dänemark: Doppelt so hohe Sterbefälle wie Deutschland

Auch deutsche Experten sehen Dänemark als Negativbeispiel. Dem zugrunde gelegt werden die verzeichneten COVID-19-Todesfälle. In nur sechs Wochen Omikron zählt Dänemark doppelt so viele Tote wie nach fünf Monaten Delta. Die Zahlen sind außerdem doppelt so hoch wie hierzulande.

"Wir haben zum Beispiel in Dänemark gesehen, dass die Zahlen nach kurzer Pause noch einmal deutlich höher gingen", mahnte Epidemiologe Hajo Zeeb und betonte, Dänemark hätte "in die Welle hinein gelockert", statt zu warten, bis das Gröbste vorüber ist. "Das war ein großes Risiko, das wir nicht eingehen sollten", meint Zeeb.

Mit Spannung werden die Beschlüsse der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz erwartet – ob Deutschland dann tatsächlich bald einen Freedom Day feiert?