Gravierende Folgen nach Corona: Mehr Arbeit und weniger Urlaub?

Würden die Deutschen mehr arbeiten und weniger Urlaub machen, ließe sich eine Finanzkrise nach der Corona-Pandemie vermeiden. So sehen es zumindest die Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Die Hintergründe.

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Mehr Arbeit und weniger Urlaub klingt nicht nach einem Vorschlag, den die Menschen hierzulande nach über eineinhalb Jahren Corona-Pandemie hören wollen. Trotzdem wird dieses Modell aktuell diskutiert. Die Idee dazu stammt vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). 

Finanzkrise durch Corona

Die Corona-Pandemie hinterlässt in allen Bereichen des Lebens tiefe Spuren. Nicht nur die Gesundheit und Psyche der Menschen leiden darunter, sondern auch die Wirtschaft. So sind durch mehrere Lockdowns, anhaltende Schließungen und stark eingeschränkte Öffnungen nicht nur hunderttausende Jobs verloren gegangen, sondern auch Einnahmen und damit Steuerzahlungen ausgeblieben. In Kombination mit den milliardenschweren Rettungspaketen, die der Bund geschnürt hat, entstehen große Finanzlöcher im deutschen Haushalt. 

Mehr Arbeit, weniger Urlaub als Lösungsvorschlag

„Schlummernde Wachstumspotenziale im deutschen Arbeitsmarkt“ heißt der Bericht, den das IW nun vorlegt.  Die Kernaussage darin:

Die Deutschen sollten 2 Stunden pro Woche mehr arbeiten und gleichzeitig 1,5 Wochen pro Jahr weniger Urlaub machen, um die durch Corona entstandenen Haushaltlöcher in den kommenden Jahren schrittweise zu stopfen. So könnten Steuererhöhungen verhindert werden.

Die Ökonomen fassen es wie folgt zusammen: „Eine graduelle Erhöhung der Erwerbstätigenquote um 2,5 Prozentpunkte und der Jahresarbeitszeit um 11 Prozent (auf das Schweizer Niveau) könnte das preisbereinigte deutsche Bruttoinlandsprodukt nach zehn Jahren um bis zu 8 Prozent steigern, während die Schuldenstandsquote um mehr als 16 Prozentpunkte sinken könnte.“

Was ist das Schweizer Niveau?

Die Zahlen, die das IW vorlegt, basieren auf einem Vergleich mit der Schweiz. Deswegen auch der oben gefallene Begriff „Schweizer Niveau“. Denn in unserem Nachbarland ist das Modell „Mehr Arbeit, weniger Urlaub“ bereits Realität. Haben die deutschen Arbeitnehmer im Jahr 2019 etwa 34 Stunden pro Woche gearbeitet, waren es bei den Schweizer:innen 36 Stunden pro Woche. Zusätzlich nehmen die Schweizer:innen im Schnitt 1,5 Wochen weniger Urlaub pro Jahr. 

„Überträgt man die schweizerische Wochenarbeitszeit und die Jahresarbeitswochen auf das deutsche Arbeitsmarktmodell ergibt sich ein Potenzial [für den Arbeitsmarkt] von 7,7 Milliarden Stunden“, so das IW online. 

Teilzeit im Fokus

Zwei Wochenstunden mehr Arbeit muss dabei nicht Überstunden bedeuten. IW-Chef Michael Hüther erklärte im Interview mit der „Bild“-Zeitung: „Die finanziellen Lasten aus der Pandemie können wir jahrzehntelang vor uns herschieben oder wir nutzen Potenziale, die bisher brachliegen. Viele Frauen beispielsweise arbeiten unfreiwillig in Teilzeit, weil Kitaplätze fehlen. Allein für die Unter-Dreijährigen fehlen 340.000 Betreuungsplätze.“

Nicht nur Corona ist ein Problem

Laut des Instituts der deutschen Wirtschaft ist Corona nicht der einzige Faktor, der für ein sinkendes Arbeitsvolumen und damit ein geringeres Bruttoinlandsprodukt (BIP) sorgt. Auch der demografische Wandel stellt den Arbeitsmarkt vor Herausforderungen. 

„So wird nach aktuellen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes (2019) die Anzahl der erwerbsfähigen Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren von heute fast 50 Millionen bis 2030 bereits um 4 Millionen schrumpfen“, zeigt das IW auf.

Vorschlag sorgt für Gegenwind

Natürlich provoziert der Vorschlag zu mehr Arbeit und weniger Urlaub viel Gegenwind. Kritiker sehen dabei mehrere Probleme. Darunter die Tatsache, dass mehr Arbeit nicht automatisch eine höhere Arbeitsleistung bedeutet, wie FDP-Fraktionsvize Michael Theurer betonte.

SPD-Politikerin Katja Kipping sieht außerdem eine weitere, entscheidende Schwachstelle im Vorstoß des IW: Mehr Arbeit bei wenig Urlaub trifft am ehesten Geringverdienende, die jetzt schon unter zu wenig Lohn leiden. Auf Twitter lässt die Politikerin keinen Zweifel daran, was sie von dem Modell gegen Steuererhöhungen hält:

„Ein Vorschlag erdacht, um Malochende zu knechten & die reichsten 1% vor Millionärsabgabe zu schützen. Die Wirtschaftslobby schlägt ernsthaft vor, alle sollen 1,5 Wochen Urlaub opfern. Das trifft jene besonders, die hart am Limit arbeiten wie Pflegekräfte.“