Eskapismus: Bedeutung, Definition und Symptome

Eskapismus beziehungsweise Realitätsflucht kann gesund sein, aber auch krank machen. Wir haben einen Psychiater zu Eskapismus und seiner Bedeutung befragt und darüber gesprochen, wann Weltflucht zur Gefahr wird.

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Die Eskapismus-Bedeutung hat sich über viele Jahrhunderte gewandelt. Im Deutschen geht Eskapismus auf das Wort Eskapade zurück, womit im 18. Jahrhundert ein verfehlter Sprung beim Pferdesport und später eine abenteuerliche, eigenwillige Handlung gemeint war. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird das Wort gleichbedeutend mit dem englischen "escape" und dem französischen "échapper" ("entkommen" oder "fliehen") in der Psychologie und Bildungssprache als Synonym für Realitätsflucht oder auch Weltflucht verwendet.

Der Psychiater Dr. Andreas Hagemann benennt im Interview mit PraxisVITA Eskapismus-Symptome und -Ursachen und erklärt, wann Eskapismus zur Gefahr wird.

Eskapismus (Symbolbild)
Abtauchen in andere Welten: Wie viel Eskapismus ist gesund? Foto: iStock/Halfpoint

Eskapismus: Definition

Im Duden wird für die Eskapismus-Bedeutung auf das Adjektiv eskapistisch verwiesen. Dies meint „vor der Realität und ihren Anforderungen in Illusionen oder in Zerstreuungen und Vergnügungen ausweichend". Es geht also nicht allein um eine Realitätsflucht, sondern auch um Mittel und Wege, mit denen diese Flucht gelingt.

Dr. Andreas Hagemann fasst seine Eskapismus-Definition wie folgt zusammen: „Eskapismus nennt sich die Flucht aus der Realität – beispielsweise in TV-Soaps, Fantasy-Spiele oder eine andere Scheinwirklichkeit. Das reale Hier und Jetzt mit seinen Problemen und Sorgen verliert an Bedeutung. Betroffene blenden mehr und mehr die alltäglichen (Negativ-)Meldungen aus."

„Bedenklich wird es, wenn die Flucht in eine andere, vermeintlich bessere Gegenwart zunehmend das Denken und Handeln bestimmt. “
Dr. Andreas Hagemann, Psychiater

Positiver Eskapismus: Bedeutung für den Umgang mit Problemen

Der norwegische Psychologe Frode Stenseng (*1975) unterscheidet zwei Formen von Eskapismus: die negative Selbstunterdrückung, bei der die Betroffenen vor unangenehmen Gefühlszuständen fliehen und die positive Selbstexpansion, bei der die Betroffenen durch eskapistisches Verhalten bereichernde (Selbst-)Erfahrungen sammeln.

Auch Dr. Andreas Hagemann betont, dass Weltflucht zunächst nichts Negatives ist: „Ein wenig aus der Realität mit ihren Problemen zu fliehen, ist grundsätzlich alles andere als schädlich. Selbst wenn dabei die Stunden verfliegen und wir die Gegenwart vergessen, ist das kein Grund zur Sorge." Im Gegenteil habe zeitweiliges Abtauchen in andere, schönere Welten einen positiven Effekt. „Eskapismus kann helfen, Ängste und Spannungen abzubauen und negative Gefühle auszugleichen", so der Experte.

Negativer Eskapismus: Symptome zunächst schwer zu deuten

Die Grenzen zwischen einer positiven, gewinnbringenden Weltflucht und einer schädlichen Realitätsverdrängung sind fließend. Das macht es so schwer, zu erkennen, wann jemand in eine negative Selbstunterdrückung abdriftet.

Dr. Andreas Hagemann gibt erste Anhaltspunkte: „Bedenklich wird es, wenn die Flucht in eine andere, vermeintlich bessere Gegenwart zunehmend das Denken und Handeln bestimmt. Vor allem, wenn dabei die Wirklichkeit verleugnet und verdrängt und/oder Aufgaben des täglichen Lebens, Ziele und Pläne vernachlässigt werden. Immer dann, wenn negative Konsequenzen für die reale Welt entstehen, wird es problematisch.“

Eskapismus-Symptome: Vernachlässigung in unterschiedlichen Facetten

Schädlicher Eskapismus ist im Grunde immer eine Form der Vernachlässigung. Die Betroffenen vernachlässigen entweder sich selbst und/oder ihr Umfeld.

Zu den häufigsten Eskapismus-Symptomen gehören die Vernachlässigung

  • des eigenen Ichs – zum Beispiel in Form von nachlassender Körperhygiene, schlechter Ernährung, eines ungesunden Lebensstils

  • des sozialen Umfelds – Freund:innen/Familienmitglieder werden gemieden. Das kann bis zur vollständigen sozialen Isolation gehen.

  • der Alltagsaufgaben – dazu gehören sowohl der Beruf als auch andere soziale Verpflichtungen, Termine, Aufgaben, etc.

„Betroffene distanzieren sich immer mehr von Familie, Freunden und anderen Mitmenschen. Nicht selten kommen sie im fortgeschrittenen Stadium ihren täglichen Verpflichtungen nicht mehr nach. Arbeit, Freundeskreis, Hobbys – alles wird der Scheinwelt untergeordnet", verdeutlicht Dr. Hagemann.

Eskapismus: Weltflucht bis hin zum Realitätsverlust

Neben der Vernachlässigung als übergeordnetes Symptom sind Ängste bei Eskapismus von großer Bedeutung. Denn auch wenn Eskapismus als Synonym für eine Flucht aus der Realität gilt: Die Ängste und Angstzustände, die mit einem moderaten eskapistischen Verhalten gelindert werden, verschwinden nicht durch das Abtauchen in andere Welten. So holen sie die Betroffenen schlussendlich immer wieder ein – und verstärken sich oftmals sogar. Das führt in vielen Fällen zu einer Abwärtsspirale: je größer die Ängste, desto intensiver die Weltflucht und das damit verbundene Ausblenden von Ängsten, Problemen und Nöten.

Das stärkste Eskapismus-Symptom ist der Realitätsverlust, der in vielen Fällen am Ende einer längeren Krankheitsentwicklung steht. Hierbei haben die Betroffenen den Kontakt zur realen Welt verloren und leben ganz in ihrer Scheinwelt. Irrationales Verhalten – wie das Sprechen mit Serienfiguren oder eine lebhafte Erinnerung an Dinge, die nie passiert sind – können auftreten. Oft ist dieses Symptom verbunden mit einem übermäßigen Alkohol- oder Drogenkonsum.

Was ist Eskapismus? Beispiele für Realitätsflucht

Eskapismus funktioniert über Beschäftigungen, die die Menschen komplett vereinnahmen. Die Betroffenen müssen im wahrsten Sinne des Wortes die Welt um sich herum vergessen. Wie so häufig macht dabei die Dosis das Gift. Viele Beschäftigungen sind in Maßen genossen unbedenklich, werden aber schädlich, sobald man sich ihnen exzessiv hingibt.

Die folgenden Eskapismus-Beispiele veranschaulichen dies:

  • Tagträumen

  • Meditation

  • Sport

  • Bücher

  • Filme

  • Serienmarathons

  • Videospiele

  • Social Media

  • Alkohol

  • Essen

  • Arbeit

Eskapismus: Ursachen

Realitätsflucht beschreibt als wohl treffendstes Eskapismus-Synonym, was die Betroffenen wollen: der Realität entfliehen.

„Erst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg und nun auch noch die akute Inflationsgefahr verbunden mit finanziellen Nöten – wer träumt da nicht von einer besseren, einer heilen Welt?" fasst Dr. Hagemann aktuelle äußere Faktoren zusammen, die Eskapismus begünstigen können. Kommen zu diesen äußeren Bedrohungen innere Konflikte, Unsicherheiten, psychische Probleme oder ähnliches dazu, neigen die Betroffenen eher zu eskapistischem Verhalten.

Mögliche Eskapismus-Ursachen sind:

  • psychische Krankheiten, wie Traumata, Burnout oder depressive Verstimmung

  • chronischer Stress

  • langanhaltende, intensive Konflikte, z.B. in der Familie oder im Beruf

  • Mobbing

  • Minderwertigkeitsgefühle

  • Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben

  • traumatische Schicksalsschläge wie Verlust, Trennung, etc.

Eskapismus-Symptome nehmen überhand: Welcher Arzt hilft?

Wer den Verdacht hat, selbst an Eskapismus zu leiden, oder glaubt, eine nahestehende Person tut dies, der muss nicht erst mühsam nach fachmedizinischer Hilfe suchen. „Zuerst sollte die Hausärztin/der Hausarzt involviert werden. Sie kennen die Gegebenheiten vor Ort meist am besten, sind häufig Teil eines Netzwerks und können nach einer ersten Einschätzung einen Ausblick darauf geben, wer weiterhelfen kann", erklärt Dr. Hagemann.

Wer sich anonym informieren möchte, tut dies an anderer Stelle. „Gesundheitsämter oder der sozialpsychiatrische Dienst können über Angebote informieren und helfen auch bei der Vermittlung einer Therapie", weiß der Experte.

Therapien gegen Eskapismus

Der erste Schritt raus aus dem Eskapismus ist das Bewusstsein darüber, dass die eigene Realitätsflucht das gesunde Maß überstiegen hat. „Um zu ergründen, ob eventuell behandlungsbedürftige Beschwerden bestehen, hilft es, das eigene Fluchtverhalten zu ergründen", betont Dr. Hagemann. „Fragen Sie sich ehrlich, weshalb und in welchen Momenten Sie den Drang verspüren, dem Hier und Jetzt zu entfliehen. Welche Dinge stören Sie im Leben und machen Sie unglücklich? Nicht selten sind die Antworten darauf der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie."

Professionelle Hilfe gegen Eskapismus findet in Form von Verhaltenstherapie oder Psychotherapie – je nach zugrunde liegender Ursache – statt. Bei der Suche nach einem Therapieplatz können nicht nur Gesundheitsämter oder der sozialpsychiatrische Dienst helfen, sondern auch die Terminservicestellen, ein bundesweiter und kostenloser Patientenservice. Dieser ist unter der Telefonnummer 116 117 und online zu erreichen.

Da Eskapismus stark mit negativen Gefühlen wie Überforderung, Angst, Stress und Unsicherheit verwoben ist, hilft es Dr. Hagemann zufolge zusätzlich, Wege zum Entspannen zu finden: „Empfehlenswert sind regelmäßige Atem- und Entspannungsübungen und auch Yoga, Meditation oder Tai Chi können hilfreich bei Eskapismus sein."

Dr. Andreas Hagemann - Foto: Privatklinik Duisburg
Unser Experte

Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der auf Burnout-Störungen und Depressionserkrankungen spezialisierten Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck im nordrhein-westfälischen Wegberg.