Endoradiotherapie: Prostatakrebs von innen angreifen
Ein neues Medikament attackiert Prostatakrebszellen jetzt gezielt von innen. Die Endoradiotherapie mit dem radioaktiven Strahler Lutetium-177 ist eine Therapiemöglichkeit für Männer, bei denen der Prostatakrebs schon gestreut hat.
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Für Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs gibt es jetzt neue Hoffnung: Eine besondere Art der Bestrahlung, die Tumorzellen gezielt ansteuert, von innen heraus attackiert und dadurch absterben lässt. Diese sogenannte Endoradiotherapie funktioniert so: Ärztinnen und Ärzte schleusen ein radioaktives Medikament über eine spezielle Eintrittspforte in die Krebszellen ein und töten sie so ab.
Der radioaktive Strahler ist das Lutetium-177 (Lu-177). „Gekoppelt ist es an einen kleinen Eiweißabschnitt, der die radioaktive Fracht umschließt und sich mit einem Schlüssel für die Krebszellen vergleichen lässt“, sagt Prof. Frank Bengel, Nuklearmediziner an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), im Gespräch mit der Bauer Media Group. Als „Türschloss“ dient dagegen das prostataspezifische Membranantigen (PSMA).
Wie hilft die Endoradiotherapie?
PSMA ist ein Eiweiß, das als sehr passgenaues Angriffsziel gilt, weil es fast ausschließlich auf der Oberfläche von Prostatakrebszellen vorkommt. Im Vergleich zu gesunden Zellen sind bösartige Tumorzellen mit bis zu tausendmal so viel PSMA besetzt. Und je aggressiver der Prostatakrebs ist, desto mehr dieser PSMA-Andockstellen sind auf den Krebszellen zu finden. So lässt sich sicherstellen, dass der radioaktive Strahler tatsächlich nur dort wirkt, wo er soll: Die Krebszellen nehmen Schaden und umliegendes gesundes Gewebe bleibt verschont. Wegen der geringen PSMA-Mengen auf gesunden Zellen passt der Schlüssel nämlich nicht ins Schloss.
Für wen ist die Endoradiotherapie geeignet?
Mit Hilfe der Endoradiotherapie können Nuklearmediziner Prostatatumore, die schon Metastasen in anderen Organen wie der Leber oder den Knochen gebildet haben, oft noch längere Zeit in Schach halten. Damit die Krebsbehandlung wirkt, muss aber genügend PSMA auf den Krebszellen vorhanden sein. „Eine exakte Grenze für die notwendigen PSMA-Mengen gibt es nicht“, erklärt der Nuklearmediziner Bengel. „Wir testen aber vorher, ob der Prostatatumor das PSMA überhaupt auf seinen Zellen trägt.“
Vor dem Beginn der Endoradiotherapie kommt deshalb ein spezielles bildgebendes Verfahren zum Einsatz, das PET-CT. „Auf den Bildern können wir sehen, ob der Tumor die radioaktive Substanz speichert – oder eben nicht. Wenn sich kein PSMA-Signal zeigt, wird die Behandlung auch nicht wirken. Die Entscheidung für oder gegen die Therapie basiert also unter anderem auf dieser einfachen Ja-Nein-Antwort“, erklärt Bengel.
Einsetzbar ist das Medikament im Moment nur bei Männern mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom, bei denen alle anderen Behandlungen ausgeschöpft sind, besonders die Hormonentzugstherapie oder auch die Chemotherapie. Dann gilt die Behandlung mit Lu-177-PSMA als „individueller Heilversuch“. Bengel weiß: „Die Endoradiotherapie ist derzeit meist noch die letzte Therapieoption für diese Männer.“ Sie bekämpft sowohl den ursprünglichen Prostatatumor als auch die Metastasen. Damit ist sie für Männer eine Möglichkeit, deren Metastasen sich nicht mehr operieren lassen.
Die MHH hat eine Checkliste mit Kriterien veröffentlicht, die betroffene Männer gemeinsam mit ihrem Arzt oder der Ärztin durchgehen können. Ein Tumorboard aus verschiedenen Spezialisten prüft anschließend, ob sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind.
Wie wirksam ist die Endoradiotherapie?
Dass die Behandlung mit Lutetium-177-PSMA wirkt, können Ärzte am PSA-Wert ablesen. Das prostataspezifische Antigen ist ein gut bekannter Biomarker, der sich sowohl in der Früherkennung als auch für den Verlauf von Prostatakrebs nutzen lässt. Je stärker der PSA-Wert sinkt, desto geringere Tumormengen sind im Körper vorhanden und desto mehr sind auch der Tumor und die Metastasen geschrumpft. Nuklearmediziner Bengel sagt: „Etwa zwei Drittel der Patienten profitieren von der Endoradiotherapie. Wenn der PSA-Wert fällt, ist dies ein sehr großer Erfolg. Aber selbst wenn er gleich bleibt, ist das schon eine Errungenschaft.“
Wie wirkt sich die Endoradiotherapie auf die Beschwerden und Lebenserwartung aus?
Wenn sich der Tumor und die Metastasen durch die Endoradiotherapie zurückdrängen lassen, verspüren die meisten Männer auch weniger Beschwerden, zum Beispiel Schmerzen. Dadurch verbessert sich die Lebensqualität und die Lebensfreude steigt bei vielen. „Auch wenn diese Faktoren nur schwer zu erfassen sind – unsere Erfahrung ist, dass sich die Männer besser fühlen. Und das ist für uns ein sehr wichtiges Kriterium“, sagt der Spezialist.
Auch das Leben kann die Endoradiotherapie verlängern, im Schnitt um etwa fünf Monate, wie Studien gezeigt haben. „Das ist aber nur ein Durchschnittswert aus einer Studie, den man nicht für alle Männer generalisieren kann. Es gibt ein großes Spektrum, was die Lebensverlängerung angeht. Sie kann nach unserer eigenen Erfahrung sogar mehrere Jahre betragen, was ich wirklich erheblich finde.“
Wie verträglich ist die Endoradiotherapie?
Die Behandlung mit Lu-177-PSMA gilt als gut verträglich. Im Vergleich zu anderen Behandlungen bei diesem Stadium des Prostatakrebses wie der Chemotherapie hat sie nur milde Nebenwirkungen. Manchmal kommen Übelkeit, Abgeschlagenheit und ein trockener Mund vor. „Wenn man die Endoradiotherapie mit der Alternative vergleicht, nämlich einer weiteren Chemotherapie, dann ist die neue radioaktive Substanz ganz anders: Sie ist sehr nebenwirkungsarm und das Ansprechen darauf ist ebenfalls besser“, fasst der Nuklearmediziner zusammen. Und die geringeren Nebenwirkungen einer Behandlung kommen wiederum der Lebensqualität und dem Wohlbefinden zugute.
Wie oft ist die Endoradiotherapie nötig?
Ärzte und Ärztinnen verabreichen das radioaktive Medikament als Infusion über die Vene. Das Lutetium-177 strahlt ungefähr sechs bis acht Wochen lang, danach müssen Männer die Behandlung wiederholen. Forschende erproben die Endoradiotherapie derzeit noch im Rahmen von klinischen Studien. Vier Infusionen sind für diese Anwendung zugelassen. Wenn die Behandlung gut wirkt, führen die Ärzte sie aber auch oft darüber hinaus fort. Bengel meint: „Wenn wir Erfolg haben, dann machen wir oft auch weiter.“ Derzeit besitzt das Medikament außerhalb von Studien noch keine Zulassung. „Wir rechnen aber im nächsten Jahr damit“, hofft der Nuklearmediziner.
Wie ist die Zukunft der Endoradiotherapie?
Vielleicht könnte das Medikament zukünftig auch Männern mit frühem Prostatakrebs helfen, zum Beispiel direkt nach einer Operation, der radikalen Prostatektomie. „Nicht als Ersatz für die Op, Bestrahlung und Hormontherapie, die alle sehr wirksam sind und an denen man auch nicht vorbeikommen wird. Wohl aber könnte sie vielleicht eine Rolle als Ergänzung zu diesen Standardbehandlungen einnehmen“, prognostiziert der Nuklearmediziner. „Zum Beispiel wie beim Schilddrüsenkrebs, wo eine Radiojodtherapie direkt nach einer Operation gemacht wird.“
Jedenfalls könnte die Endoradiotherapie bald noch mehr Männern mit Prostatakrebs einige Monate oder sogar Jahre an guter Lebenszeit bescheren. „Es braucht viel mehr große Studien, aber die Zeit wird für uns sprechen“, glaubt Bengel.
Welche Kliniken bieten die Endoradiotherapie an?
In Deutschland bieten verschiedene Kliniken die Behandlung mit Lu-177-PSMA an. Einige Beispiele:
- Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
- Klinikum der Universität München
- Helios Klinikum Berlin-Bruch
- Universitätsklinikum Tübingen
- Universitätsklinikum Bonn
- Uniklinik Köln
- Universitätsklinikum Augsburg
- Universitätsklinikum Münster
- Zentralklinik Bad Berka
- Uniklinik RWTH Aachen
- Universitätsklinikum Erlangen
- Universitätsklinikum des Saarlandes und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes
- Universitätsklinikum Essen
- Universitätsklinikum Jena
- Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Von Ingrid Müller
Quellen:
PSMA-Liganden Therapie, in: mhh.de (Medizinische Hochschule Hannover (Abruf: 22.11.2021)
S3-Leitlinie Prostatakarzinom, Version 6.2 – Oktober 2021, in: www.leitlinienprogramm-onkologie.de (Abruf: 22.11.2021)