Demenz: Aggression verstehen und was Angehörige bei Wutanfällen tun können
Wenn bei Demenz Aggression und Wut plötzlich auftreten, steckt dahinter keine böswillige Absicht der Erkrankten – dennoch fühlen sich Angehörige häufig zurückgewiesen und hilflos. Warum haben Demenz-Betroffene aggressive Phasen? Und wie können Angehörige darauf angemessen reagieren?
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- Demenz: Aggression zählt zu Verhaltensstörungen
- Aggressivität bei Demenz kann Ursache im Gehirn haben
- Demenz: Aggressive Phasen werden durch Frust und Überforderung ausgelöst
- Demenz: Aggression geht mit diesen Anzeichen einher
- Demenz und Aggression: Beispielsituationen, die Wut auslösen können
- So können Angehörige auf das Verhalten von aggressiven Demenz-Erkrankten reagieren
- Demenz: Aggression vorbeugen – diese Tipps helfen
Von einem auf den anderen Moment können Demenzerkrankte wütend werden. Sie sind gereizt, schreien um sich oder beschimpfen gar ihre Mitmenschen. Was auf Angehörige sehr irritierend und auch verletzend wirken kann, ist jedoch keineswegs böswillig von den Betroffenen gemeint. Vielmehr ist Aggressivität bei Demenz ein Zeichen für Hilfslosigkeit. Welcher Zusammenhang zwischen Demenz und Aggression genau besteht und was Betroffenen und Angehörigen in solchen Situationen hilft.

Demenz: Aggression zählt zu Verhaltensstörungen
Aggressives Verhalten bei Demenzerkrankten ist kein seltenes Phänomen – im Gegenteil. Je nach Statistik haben etwa 40 bis 50 Prozent der Betroffenen im Verlauf der Erkrankung eine aggressive Phase. Verbale Wutausbrüche kommen im Vergleich zu körperlicher Aggression weitaus häufiger auch. Sexuelle Aggression, bei denen Erkrankte ihre Triebe nicht mehr unter Kontrolle haben, tritt dagegen mit etwa vier Prozent deutlich seltener auf.
Aggression bei Demenz wird zu den Verhaltensstörungen gezählt, die im Zuge einer Demenz, insbesondere im mittelschweren Stadium, auftreten können. Auch „herausforderndes Verhalten“ oder „nichtkognitive Symptome“ sind Begriffe, unter denen Verhaltensstörungen zusammengefasst werden.
Nicht nur Aggressionen zählen dazu, sondern auch innere Unruhe (Agitation), Teilnahmslosigkeit (Apathie), motorische Überaktivität, enthemmendes Verhalten, starke Stimmungsschwankungen und Rückzugsverhalten. Bei über 90 Prozent der Demenzpatient:innen kommt es zu solchen Verhaltensauffälligkeiten – Apathie und eine niedergeschlagene Stimmung kommen im Vergleich zur Aggressivität weitaus häufiger vor.
Nicht jede:r, der oder die im Alter aggressive Phasen hat, leidet unter einer Demenzerkrankung. Mitunter kann eine erhöhte Reizbarkeit und Misstrauen gegenüber anderen Menschen auch auf den Erfahrungen begründet sein, die jemand im Laufe seines Lebens macht. Hat jemand zum Beispiel ein Leben lang gearbeitet und befindet sich in der Rente plötzlich in Altersarmut, kann eine Verbitterung die Gemütslage bestimmen; auch durch viele Enttäuschungen im Leben können Menschen im Alter aggressiver und misstrauischer werden.
Hinter Aggression kann sich natürlich auch eine Demenz verbergen, daher sollte bei Verhaltensänderungen immer ein:e Ärzt:in aufgesucht werden. Doch auch eine Altersdepression kann hinter dem feindseligen Verhalten stecken.
Aggressivität bei Demenz kann Ursache im Gehirn haben
Die Ursachen für aggressives Verhalten bei Demenzerkrankten sind vielschichtig und meist nicht auf einen Faktor zurückzuführen. Aggression kann zum einen mit den degenerativen Entwicklungen des Gehirns zusammenhängen; zudem gibt es Unterschiede je nach Demenzform:
Bei der häufigsten Demenzform Alzheimer verändert sich die Wahrnehmung der Erkrankten. Sie leben mehr und mehr in ihrer eigenen Welt und haben eigene Erklärungen für das, was um sie herum passiert. Warum die Menschen sich in ihrem Umfeld so verhalten, wie sie es tun, verstehen Alzheimer-Betroffene irgendwann nicht mehr. Das Denkmuster kann wahnhafte Züge annehmen. Zum Beispiel wenn sie felsenfest der Überzeugung sind, die Medikamente, die ihnen verabreicht werden, seien vergiftet. Tobsuchtsanfälle können die Folge dieser wahnhaften Erklärungsmuster sein. Zu den Alzheimer-Symptomen zählt daher auch die Aggressivität als Verhaltensstörung.
Bei einer frontotemporalen Demenz leiden Betroffene mehr und mehr unter dem Verlust ihrer Impulskontrolle. Der Grund: Bei ihnen schwinden nach und nach die Nervenzellen im Stirnlappen (Frontallappen), der für Sprache und Gedächtnis, aber auch für die Selbstkontrolle wichtig ist – verschlechtert sich diese mit der Zeit, kann Wut nicht mehr gesteuert werden.
Die Stimmungsschwankungen bei der vaskulären Demenz können zu aggressivem Verhalten führen. Betroffene können ihre Emotionen nicht mehr kontrollieren und von einer ausgelassenen Gemütszulage zu aggressivem Verhalten wechseln.
Demenz: Aggressive Phasen werden durch Frust und Überforderung ausgelöst
Bedeutsame Auslöser für aggressives Verhalten sind auch Frust und die Hilfslosigkeit über die eigene Erkrankung. Wenn Betroffene mitbekommen, wie sie geistig immer weiter abnehmen, Dinge durcheinander bekommen und ihren Alltag nicht mehr wie vorher bestreiten können, kommen Angstgefühle hoch. Frust, Scham, Machtlosigkeit und eine ständige innere Unruhe können ihren Gemütszustand bestimmen.
Für sie ändert sich die Welt um sie herum – und sie können nicht verstehen, warum. Das Gefühl, das daraus resultiert, ist Überforderung. Auch nehmen Demenzerkrankte das Verhalten anderer Menschen als Bedrohung wahr, weil sie ihr Handeln nicht mehr einordnen können oder die Person nicht erkennen und nicht wissen, wer vor ihnen steht.
Neben diesen negativen Gefühlen kann Aggression auch im Zusammenhang mit starken Schmerzen und anderen Faktoren wie Hunger, Durst oder Müdigkeit stehen.
Demenz: Aggression geht mit diesen Anzeichen einher
Vor der Erkrankung schüchtern und zurückhaltend – im Verlauf der Demenz plötzlich ausfallend und launisch: Bei Demenzerkrankten verändert sich die Persönlichkeit oft so sehr, dass sie nicht mehr der Mensch sind, der sie einmal waren. Kleinigkeiten reichen oft schon aus, sie aus der Fassung zu bringen. Die Aggression zeigt sich durch eine erhöhte Reizbarkeit und Aufregung, aber auch Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten sind möglich.
Auch wenn sexuelle Aggression eher selten vorkommt, ist enthemmtes, unangebrachtes Verhalten möglich. Etwa indem sie jemanden in die Intimzone fassen oder anzügliche Bemerkungen machen.
Aggressives Verhalten zählt zu den häufigsten Gründen, weshalb Demenzerkrankte in einem Pflegeheim untergebracht werden. Das Problem ist nur, dass viele Schwierigkeiten haben, einen Heimplatz zu finden. Auf der Website der Weissen Liste können Sie nach passenden Pflegeheimen in Ihrer Umgebung suchen. Wenn Sie Kontakt zur Einrichtung aufnehmen, thematisieren Sie das Aggressionsverhalten und sie werden merken: Mit aggressiven Phasen bei Demenz kennen sich Pflegefachkräfte gut aus und bieten einen Theraieplan an, der auch Verhaltensstörungen berücksichtigt.
Demenz und Aggression: Beispielsituationen, die Wut auslösen können
Egal ob gegenüber Pflegepersonal oder Angehörigen – aggressives Verhalten kann gegenüber allen Personen auftreten, die mit dem Demenzerkrankten in Kontakt treten. Im Pflegealltag kann dieses Verhalten zur Geduldsprobe werden, vor allem wenn Demenzerkrankte meinen, eine völlig fremde Person würde ihnen die Kleidung anziehen oder sie duschen. Oder wenn Betroffene abends denken, dass es früh am Morgen ist und sie deshalb ihre Nachtwäsche nicht anziehen wollen.
Im Kontakt mit Angehörigen können ebenfalls Kleinigkeiten zu Wutausfällen führen, zum Beispiel ein zu lauter Satz oder Gesprächsthemen, denen der Erkrankte nicht mehr folgen kann. Auch wenn man ihre Lebenswirklichkeit nicht bestätigt, können sie aggressiv reagieren.
Ein Phänomen ist, dass viele den Drang haben, zur Arbeit gehen zu müssen. Sie haben schlicht vergessen, dass sie schon lange in Rente sind. Hier kommt es zu einem Dilemma: Natürlich können Angehörige und Pflegende ihn/sie nicht einfach unbeaufsichtigt rausgehen lassen – die Gefahr, dass derjenige sich verirrt und selbst gefährdet, ist zu groß. Geben Sie aber nicht nach und lassen den Demenzerkrankten „nicht zur Arbeit gehen“, kann dieser wütend werden.
Aus diesem Grund gibt es zum Beispiel in vielen Demenzstationen in Pflegeheimen Haltestellen-Attrappen, an denen Betroffene auf den Bus warten, um zur Arbeit zu fahren. Diese Lösung kommt ihrem Bedürfnis nach, ohne sie zu gefährden.
Es kann auch vorkommen, dass Demenzerkrankte vielleicht den 30-jährigen Enkel fragen, wie es in der Schule war oder sich bei der Tochter nach ihrem Ehemann erkundigen, obwohl sie längst geschieden ist. Widersprechen Angehörige, merken Betroffene mitunter ihre eigene Verwirrtheit und können aggressiv werden – ein Ausdruck, der vor allem im Frust über den eigenen kognitiven Verfall begründet ist.
Es gibt einige Medikamente, die gegen Aggression im Rahmen einer Demenzerkrankung eingesetzt werden können. Dazu zählen beispielsweise die Antipsychotika (Neuroleptika) Risperidon und Haloperidol. Wichtig ist, nicht allein auf eine medikamentöse Behandlung zu setzen, sondern nicht-medikamentöse Maßnahmen, die zur Verhaltensbesserung beitragen – auch deshalb, weil Neuroleptika oft mit starken Nebenwirkungen einhergehen.
So können Angehörige auf das Verhalten von aggressiven Demenz-Erkrankten reagieren
Die gute Nachricht ist: Die Aggression bei Demenz geht in ihrer Häufigkeit und Ausprägung deutlich zurück, wenn Betroffenen viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl entgegengebracht wird. Das ist gerade für pflegende Angehörige sicherlich nicht immer einfach – aber der einzige Weg, wie sich die Verhaltensstörung bessern kann. Versuchen Sie zu verstehen, woher die Aggression kommt, und machen Sie sich klar, dass dieses Verhalten krankheitsbedingt ist – und dahinter keine Böswilligkeit steckt.
So können Sie am besten auf Aggressivität bei Demenz reagieren:
Bevor Sie reagieren: Atmen Sie einmal tief durch und zählen Sie bis zehn.
Hören Sie dem Demenz-Betroffenen zu, fallen Sie ihm nicht sofort ins Wort und versuchen Sie nicht, eine Diskussion anzufangen.
Gelassenheit und Freundlichkeit sind zwei wichtige Eigenschaften, mit denen Sie der Wut begegnen können, vor allem in Gestik, Mimik und der Wortwahl.
Auch wenn der Auslöser vielleicht lächerlich erscheinen mag – für den Betroffenen ist es das nicht. Daher sollten Sie die Situation ernst nehmen.
Signalisieren Sie, dass Sie die Wutgefühle wahrnehmen.
Erkennen Sie die Realität des Betroffenen an (Validation). Das bedeutet: Nicht leugnen, dass derjenige nicht vergiftet wurde, sondern stattdessen fragen, wogegen er die Medikamente nimmt, wie sie aussehen usw. Oder wenn die Geldbörse vermeintlich „gestohlen“ wurde: Lieber fragen, was im Portemonnaie drin ist, statt den Diebstahl zu leugnen.
Wenn die Person handgreiflich wird, gehen Sie auf Abstand oder verlassen den Raum.
Wichtig nach der Situation: Nicht bestrafen! Der Demenzerkrankte wird nicht verstehen, wofür er/sie bestraft wird.
Bringen Sie die Person auf positive Gedanken: Was mag er/sie? Malen? Spazierengehen? Musik hören?
Suchen Sie sich professionelle Hilfe, wenn es Ihnen schwerfällt, die Situation zu händeln. Auch dann, wenn Sie merken, dass Sie die Aggression Ihres Gegenübers zu sehr belastet. Und wenn Ihnen der Geduldspfaden doch einmal reißt, verurteilen Sie sich nicht dafür – die Situation ist für niemanden einfach.
Demenz: Aggression vorbeugen – diese Tipps helfen
Wichtig im Umgang mit Demenzerkrankten ist, ihre individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu berücksichtigen und Aktivitäten zu wählen, die auf sie zugeschnitten sind. Denn allzu oft kommt es vor, dass Betroffene wütend werden, wenn eine Aufgabe sie überfordert. Nehmen Sie sich zum Beispiel für das Gedächtnistraining oder die Fingergymnastik ausreichend Zeit und steigen Sie mit einfachen Übungen ein.
Auch diese Tipps helfen Angehörigen, Wutanfälle des Demenzerkrankten vorzubeugen:
Wenn ein Familienausflug oder Arztbesuch ansteht und der Demenzerkrankte eine aggressive Phase hat, heißt es: Akzeptieren und ggf. das Ereignis absagen oder so planen, dass die Person ausreichend Zeit hat, sich auf die neue Situation einzustellen.
Wenn eine Aktivität ansteht, erklären Sie mit einfachen, freundlichen Worten, um was es geht, um einer Verunsicherung entgegenzuwirken.
Achten Sie auf eine ruhige Atmosphäre, in der nicht zu viele Reize auf einmal auf die Person einprasseln. Das bedeutet: Fernseher leiser stellen oder ausschalten, wenn Sie sich unterhalten oder nicht zu viele Besucher auf einmal nach Hause einladen.
Planen Sie nach der Aktivität genügend Erholungszeit ein.
Wählen Sie Aktivitäten, die die Person gerne unternimmt und ihren Interessen entspricht.
Letztlich sind drei Dinge wichtig beim Umgang mit Aggression: Finden Sie die Auslöser, warum der Betroffene aggressiv wird, nehmen Sie die Gefühle ernst und fördern Sie ein aktives Leben – denn Bewegung, Musik- und Kunsttherapie wirken bisweilen so gut, dass bei einer Demenz die Aggressionen zurückgehen können.
Quellen:
Demenz: Besondere Verhaltensweisen, in: bundesgesundheitsministerium.de
Mit Aggressionen umgehen, in: alzheimer-schweiz.ch
Bartolomeyczik, S. (2006). Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe. Demenz, 33.