Cannabis-Psychose: "Ich habe Jan nie aufgegeben“

Mutter und Sohn mit Psychose
Jan will sich nach seiner Psychose endlich ein gesundes, glückliches Leben aufbauen. Seine Mutter unterstützt ihn dabei, wo sie nur kann Foto: Fotolia

Dass ihr Sohn Cannabis rauchte, ahnte Brigitte Neuss (58) nicht – bis er eine Psychose bekam. Das zeigt die Schattenseite eines sonst relativ harmlosen Rauschmittels.

Gut gelaunt hört Brigitte Neuss* ihrem Sohn Englisch-Vokabeln ab. ,,Wir sitzen gern zusammen im Garten – reden, lachen oder lernen", sagt die 58-Jährige. Unbeschwert können sie das erst seit Kurzem wieder. Denn Jan war drogensüchtig. Drei Jahre lang rauchte er Cannabis – und bekam davon sogar Wahnvorstellungen.

Cannabis-Psychose

Cannabis

ist ein Hanfgewächs. Die Blüten werden als Marihuana geraucht, daraus gepresstes Harz zu Haschisch in Form von Platten oder Blöcken verarbeitet. Hauptwirkstoff im Cannabis ist Tetrahydrocannabinol (THC), der eine psychoaktive Wirkung erzeugt. Darüber hinaus enthält Cannabis aber auch nicht berauschende Cannabinoide, z.B. Cannabidiol (CBD). Cannabis wird somit nicht nur als Rauschmittel benutzt, sondern findet u.a. als Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Bestandteil in Kosmetika Anwendung.

Seine Mutter erinnert sich: ,,Mit 14 zog sich Jan plötzlich immer mehr zurück. In der Schule wurde er richtig schlecht. Aber ich dachte: Er ist eben in der Pubertät." Doch dann kam der Morgen des 4. November. ,,Jan lag kreidebleich im Bett und war nicht wachzurütteln." Brigitte Neuss holte einen Arzt. Und der stellte fest: Der Junge hatte Cannabis im Blut – seine Werte waren alarmierend. ,,Ich war total schockiert", sagt die Mutter. ,,Dass mein Sohn Drogen nimmt – darauf wäre ich nie gekommen. Was hatte ich bloß falsch gemacht?" Als er sich erholt hatte, redete Brigitte Neuss lange mit Jan. ,,Er sprach jetzt ganz offen über sein Haschischrauchen. Dass er über Freunde dort reingerutscht war. Dass er am Anfang nur gelegentlich gekifft habe. Dann immer mehr. Inzwischen ging sein ganzes Taschengeld dafür drauf. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Gott sei Dank war Jan zu einem Entzug bereit.“ Fünf Monate verbrachte er in einer Klinik. ,,Danach hofften wir, dass nun alles wieder gut sei." Doch bevor Jan im darauffolgenden August wieder zur Schule konnte, folgte der nächste Schock.

Brigitte Neuss erzählt: ,,Er bekam plötzlich Schreianfälle, redete wirres Zeug. Und schrieb Zettel mit Sätzen wie ,Ich hasse mich!’ Es war schrecklich!" Ärzte stellten bei Jan eine Psychose fest – eine Folge des Cannabis-Konsums. ,,Mein Mann und ich waren völlig fertig, meine Eltern und Schwiegereltern weinten. Da wurde mir klar – wenigstens ich muss stark bleiben. Jan braucht jetzt jemanden, der ihm Kraft gibt."

Entzug wegen Cannabis-Konsum

Der damals 17-Jährige kam in eine psychiatrische Klinik, musste starke Medikamente nehmen. Nur langsam ging es ihm besser. ,,Doch ich glaubte immer fest an ihn. Und Jan wusste, dass ich hinter ihm stand", sagt Brigitte Neuss. Nach vier Monaten galt er als geheilt, wurde aus der Klinik entlassen. ,,Endlich konnte ich wieder ruhig schlafen, mich auf meine Büroarbeit konzentrieren. Jetzt mussten wir nur eine geeignete Schule für ihn finden."

,,Dass Cannabis-Konsum Psychosen verursacht, ist nicht ungewöhnlich. Die Leute hören, sehen und fühlen Dinge, die nicht real sind, oder hören Stimmen", erklärt Andrea Piest von der Selbsthilfegruppe Grasshopper. Leute, die Cannabis konsumieren, haben eine zwei- bis dreimal so hohe Wahrscheinlichkeit, eine Psychose zu erleiden, wie andere Menschen. Der Konsum kann auch Halluzinationen und Schizophrenie (Persönlichkeitsstörung) hervorrufen. THC-Konsum kann zudem das logische Denken und die Leistungsfähigkeit des Gehirns beeinträchtigen.

Cannabis fällt unter das Betäubungsmittelgesetz und ist in Deutschland illegal. Mehr als 100.000 Strafverfahren werden hierzulande jedes Jahr wegen Cannabis-Konsum oder -besitz eingeleitet. Dennoch ist THC die am häufigsten konsumierte verbotene Substanz: 6,7 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren und 39,2 Prozent der 18- bis 25-Jährigen geben an, die Droge schon einmal genommen zu haben.

Die Folgen der Cannabis-Psychose

Im Fall von Jan war schnell klar: Er kann keine normale Klasse mehr besuchen. Die Drogen hatten zwar seine Intelligenz nicht beeinträchtigt, das bestätigte ein Test, wohl aber sein seelisches Gleichgewicht. Er benötigt psychologische Betreuung. Außerdem reagiert er auf alles langsamer – eine Folge der Psychopharmaka. ,,Aber er ist zäh, will unbedingt das Abitur machen. Und er hat wieder Freude am Leben."

Nach langer, sorgfältiger Suche fand Brigitte Neuss einen guten Platz für ihn: in einem Braunschweiger Internat für seelisch Behinderte. Die Kosten übernimmt jetzt das Jugendamt – auch dafür kämpfte die Mutter monatelang. Seit November ist Jan in der neuen Schule: ,,Er sprüht vor Tatendrang. Hier hat er die Chance, noch einmal ganz neu anzufangen. Und ich bin sicher: Er wird es schaffen!"

* Namen von der Redaktion geändert