Kinderlähmung: Katastrophenfall in New York ausgerufen

Viele Jahre lang gab es keine Infektionen. Doch dann wurden Polio-Viren im Londoner Abwasser entdeckt, während in New York der erste Polio-Fall seit fast 10 Jahren nachgewiesen wurde. Jetzt wird sogar der Katastrophenfall ausgerufen.

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Die gefährliche Infektionskrankheit Polio scheint zurückgekehrt zu sein. London hat inzwischen zu einer Impfkampagne inklusive Booster-Impfung für Kinder aufgerufen. Und in den USA wird nun der Katastrophenfall wegen der Polio-Gefahr ausgerufen. Wie bedrohlich ist die Lage – ist mit einer Ausbreitung der Kinderlähmung zu rechnen?

Polio-Fälle: Staat New York ruft Katastrophenfall aus

In den USA wird das Auftauchen der Polio-Viren sehr ernst genommen. Die Gouverneurin des Bundesstaates New York, Kathy Hochul, hat am Freitag den Katastrophenfall ausgerufen. Zuvor waren nicht nur in der Stadt New York, sondern auch in den Countys Rockland, Orange, Sullivan sowie Nassau Polio-Viren im Abwasser nachgewiesen worden. Wer an Kinderlähmung erkrankt, kann lebenslang gelähmt bleiben, Medikamente gibt es nicht.

Katastrophenfall: Was folgt nun?

Mit dieser Maßnahme ist es möglich, dass viele weitere Anbieter die Menschen gegen das gefährliche Virus impfen können. Dazu zählen beispielsweise Hebammen, Apotheker:innen und notärztliche Einsatzkräfte.

Die Gesundheitsbehörde des Staates New York ruft dringend zum Impfen gegen Polio auf: Wer noch nicht oder nicht vollständig geimpft ist, sollte das sofort nachholen. Eltern sollten ihre Kinder schnell immunisieren lassen – ansonsten sei die Gefahr einer lähmenden Erkrankung real.

Was ist Polio?

Das Virus wird häufig über verunreinigtes Wasser übertragen. Die Krankheit ist oft asymptomatisch, es können jedoch grippeähnliche Symptome auftreten, wie:

  • Fieber

  • Halsschmerzen

  • Müdigkeit

  • Übelkeit

Bei einigen Patient:innen befällt das Virus auch das Nervensystem und führt zu Lähmungen bis hin zum Tod. Vor allem Kleinkinder sind betroffen, bei ihnen kann eine Polio-Infektion dauerhafte Lähmungen hervorrufen – daher wird Polio auch als Kinderlähmung bezeichnet. Polio kann bisher nicht geheilt werden, allerdings schützen Impfungen sehr zuverlässig vor einer Ansteckung.

Polio-Erreger in London entdeckt

Bereits im Juli kamen beunruhigende Nachrichten aus Großbritannien: Im Londoner Abwasser wurden Polio-Viren in hoher Zahl nachgewiesen. Zwischen Februar und Juli wurden 116 Viren in 19 Proben gefunden, betroffen sind vor allem der Osten und Nordosten der Stadt. Untersuchungen zufolge zeigen einige der entdeckten Viren Mutationen auf.

Auf der Insel gab es knapp 40 Jahre lang keinen Polio-Fall mehr, der letzte wurde 1984 nachgewiesen. Man ist höchst besorgt, die Gesundheitsbehörde hat bereist Alarm geschlagen: Im August wurde ein „nationaler Vorfall“ ausgerufen, zudem wurde die Weltgesundheitsorganisation (WHO) informiert.

London: Booster-Impfung für Kinder

Obwohl zu dem Zeitpunkt noch keine Infektionsfälle bekannt geworden waren, rief die britischen Gesundheitsbehörden alle Kinder zwischen ein und neun Jahren zum Impfen auf. Auch bereits Geimpfte sollten eine Auffrischungsimpfung erhalten. Damit soll einer Infektion durch mutierte Polio-Viren vorgebeugt werden. Die Funde in mehreren Kläranlagen deuteten darauf hin, „dass es in diesen Bezirken ein gewisses Maß an Virusübertragung gibt, das sich auf angrenzende Gebiete ausbreiten kann“, hieß es aus der Behörde.

Das Polio-Virus gelangt über den Stuhl ins Abwasser. Diesen können zum Beispiel Personen ausscheiden, die eine Lebend-Impfstoff erhalten haben. Andere Menschen können auf diesem Weg infiziert werden. In Deutschland wird eine Impfung nur noch mit Inaktivierten-Polio-Vakzinen (IPV) vorgenommen.

New York: 1. Polio-Fall seit fast 10 Jahren in den USA

In den USA war zuvor der 1. Polio-Fall seit fast einem Jahrzehnt im Bundesstaat New York nachgewiesen worden. Zuletzt wurde in den USA 2013 eine Infektion verzeichnet.

Medienberichten zufolge war ein nicht geimpfter Bewohner des Bundesstaates an einer Polio-Infektion erkrankt. Die örtliche Gesundheitsbehörde teilte mit, dass es sich um einen jungen Erwachsenen in einem Vorort der Metropole New York handele. Wo er sich mit dem hochansteckenden Virus infiziert habe, sei unbekannt – Tests ließen vermuten, dass der Mann sich möglicherweise außerhalb der USA infiziert habe. Angeblich sei der 20-Jährige in diesem Jahr nach Polen und Ungarn gereist. Weitere Untersuchungen sollten folgen.

1. Polio-Fall in den USA – Behörde ruft zur Impfung auf

In den USA war die Infektionskrankheit früher sehr gefürchtet. Es kam zu heftigen Ausbrüchen mit 35.000 Infizierten pro Jahr. Seit 1979 gilt Polio in den USA als jedoch ausgerottet. Dennoch treten vereinzelt Fälle auf, so 2013 und auch jetzt wieder.

Die Gesundheitsbehörde des Staates New York hatte alle Bürger:innen zur Impfung aufgerufen: „Nach allem, was wir über diesen Fall und Polio im Allgemeinen wissen, empfiehlt die Gesundheitsbehörde nachdrücklich, sich so schnell wie möglich gegen Polio impfen zu lassen oder die Impfung aufzufrischen“, hieß es in einer Mitteilung.

Kommt Polio zurück?

In Deutschland gilt das Virus nach flächendeckenden Impfungen seit den 1960er Jahren als ausgerottet. Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind noch 3 Fälle in den 1990er Jahren aufgetreten. Den gesamten europäischen Raum hat die WHO vor genau 20 Jahren als polio-frei erklärt. Nach Angaben der WHO wurden in den vergangenen 10 Jahren weltweit weniger als 800 Fälle von Polio gemeldet. 10 Milliarden Impfdosen seien verabreicht worden, durch die 6,5 Millionen Kinder vor einer Erkrankung geschützt worden seien.

Ein Grund für das derzeitige Wiederauftauchen des Virus könnte die Corona-Pandemie sein: Dadurch sind die Routine-Impfungen, durch die das Polio-Virus weltweit erfolgreich gestoppt werden konnte, nicht in dem Maße wahrgenommen worden wie nötig. Nun sei das Risiko, dass das Virus in polio-freie Länder zurückkehrt, real, sind Expert:innen überzeugt.

Große internationale Ausrottungsoffensive

Ausgelöscht werden kann das Virus nur durch Impfungen. Die WHO verfolgt mit der sogenannten Polioausrottungsinitiative (GPEI) deshalb eine Strategie, um die Krankheit endgültig zu besiegen. Dazu sollen bis 2026 in jedem Jahr 370 Millionen Kinder in 50 Ländern gegen das Virus geimpft werden.

Insgesamt 4,8 Milliarden Dollar wird das kosten – dieses Geld soll im Herbst bei einer Geberkonferenz in Berlin gesammelt werden. Deutschland zählt zu den größten Geldgebern. Möglicherweise ist dann der 1. Polio-Fall seit fast einem Jahrzehnt in den USA auch einer der letzten in der Welt.